STEUERMYTHEN

Steuermythen

12. April 2013

„Besserverdienende werden steuerlich am stärksten belastet“   

 

Mythos

Immer wieder ist zu hören, dass die Belastung der Wohlhabenden und SpitzenverdienerInnen in Deutschland besonders hoch sei. Die angebliche hohe Steuerbelastung gilt sogar als wesentliche Ursache für die Steuerflucht, weil den TopverdienerInnen in Deutschland durch die Progression Netto vom Brutto nicht viel übrig bleibe.

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„Umverteilung: Besserverdienende zahlen die Zeche“ 1

„Steuerlast: Gutverdiener am stärksten belastet“ 2

„Reiche zahlen mehr für die Gesellschaft“ 3

„Besserverdienende sind die Verlierer des Steuersystems“ 4

 

Als entscheidender Grund für die hohe Belastung der Top-Einkommen wird die Steuerprogression angegeben, die einen Höchststeuersatz von 42 Prozent erreicht und mit der sogenannten Reichensteuer auf 45 Prozent ansteigt. Es gibt jedoch einige wesentliche Aspekte, die bei der Beurteilung der Progression zu berücksichtigen sind.

Die Einkommensteuer bezieht sich auf das zu versteuernde Einkommen – also auf jenen Teil des Einkommens, der nach Abzug sämtlicher Vorsorgeaufwendungen (z.B. Riesterrente,…) und Sonderausgaben (z. B. Kinderbetreuungskosten, Spenden,…) übrig bleibt. Vom nun überbleibenden Einkommen – nach Abzug von Vorsorgeaufwendungen und Sonderausgaben – ist ein Grundfreibetrag von 8.004 Euro jährlich steuerfrei. Egal wie viel jemand verdient, für die ersten 8.004 Euro ist also keine Einkommensteuer zu zahlen. Für die nächsten 45.000 Euro steigt der Steuersatz anfangs mit einer steileren und später mit einer flacheren Steigung linear-progressiv an. Erst für alle über 52.882 Euro liegenden Einkommensteile wird dann ein Steuertarif von 42 Prozent wirksam (Höchststeuersatz). Konkret bedeutet dies, dass erst ein zu versteuerndes Einkommen größer als 52.882 Euro mit dem Höchstsatz besteuert wird. Der dreiprozentige Aufschlag auf die Reichensteuer greift wiederum erst ab einem zu versteuernden Einkommen von 250.730 Euro für Ledige und 501.460 Euro für gemeinsam Veranlagte. Im Übrigen galt bis zum Jahr 1999 in Deutschland ein Spitzensteuersatz von 53 Prozent.

Im Gegensatz zur Einkommensteuer wirken Sozialversicherungsbeiträge regressiv. Das bedeutet, dass in einem regulären Arbeitsverhältnis (also Mini-Jobs etc. ausgenommen) vom ersten verdienten Euro an Sozialversicherungsbeiträge gezahlt werden müssen. Die Beiträge sind jedoch nach oben hin gedeckelt. Das heißt für jenen Teil des Einkommens, der über der Beitragsbemessungsgrenze von zurzeit 3.750 Euro im Monat liegt, muss kein Krankenversicherungsbeitrag und für jenen Teil des Einkommens, der in den alten Bundesländern über 5.500 Euro bzw. in den neuen Bundesländern über 4.650 Euro liegt, kein Rentenversicherungsbeitrag entrichtet werden. Bei der Sozialversicherung handelt es sich also de facto um eine nach oben gedeckelte „Flat Tax“. Dieses Flat-Tax-Modell zieht einige Konsequenzen nach sich, wie im Folgenden ausgeführt wird.

Aufgrund des komplexen Steuersystems hat die tatsächliche Abgabenlast nur wenig mit den Sätzen aus dem Steuergesetz zu tun.

 

Was ist damit gemeint? Für die oder den Betroffene/n ist vor allem das Nettoeinkommen von Bedeutung: Wie viel bleibt nicht nur nach Abzug der Steuern, sondern nach Abzug aller Sozialversicherungsbeiträge übrig? Sprich, wie hoch ist die Gesamtbelastung?

Wie Abbildung 1 zeigt, sind alle Einkommen bis auf Mini-Jobs voll kranken- und rentenversicherungspflichtig. Von Beginn an kommt es zu einem starken Anstieg der Belastung (Abbildung 1 beginnt bei 10.000 € Jahreseinkommen). Die Lohnsteuer wird ab einem zu versteuernden Einkommen von 8.004 Euro wirksam. Aufgrund der Beitragsbemessungsgrenzen der Sozialversicherungsbeiträge wird dieser Anstieg jedoch bei einem Jahresbruttoeinkommen von rund 65.000 Euro eingefroren.
Insgesamt ist die Progression zwischen sehr geringen und mittleren (Lohn-)Einkommen erheblich. Die Progression zwischen mittleren und hohen Einkommen hingegen ist extrem gering.



Abbildung 1Gesamtbelastung der Jahresbruttobezüge ab 10.000 € durch Steuern und SV-Beiträge (Steuerklasse I, 2011) (Quelle: Trüger und Teichmann, 2011)

Die Spitzenteuertarife beschreiben keine Gesamtbelastung, sondern nur einen Grenzwert, der letztlich nie erreicht wird.

Fakt 1

Die Einkommensgrenze, ab der der Höchststeuersatz wirksam wird, liegt faktisch deutlich höher als gesetzlich festgelegt, weil vom Bruttoeinkommen erst steuermindernde Sonderausgaben abgezogen werden

Einkommen von über 52.882 Euro bzw. 250.000 Euro werden zwar laut Gesetz mit 42 Prozent bzw. 45 Prozent besteuert, doch das progressive Steuersystem sorgt dafür, dass eine Gesamtbelastung solcher Einkommen mit diesen Grenzwerten nicht möglich ist. Dies ist aus zwei Gründen der Fall.

Zum einen kommt die Bemessungsgrundlage der Einkommenssteuer, wie oben gezeigt, erst nach Abzug der Vorsorgeaufwendungen und Sonderausgaben zum Tragen. Diese Posten können von der Steuer abgezogen werden. Dadurch steigt die Einkommensgrenze für den Höchststeuersatz von 52.882 Euro deutlich auf rund 65.000 Euro und verzögert somit den Punkt, an dem der Höchsttarif mit 42 Prozent greift (Truger und Teichmann, 2011)

 

Fakt 2

Die Gesamtbelastung der Besserverdienenden erreicht niemals die Höhe der gesetzlich vorgesehenen Steuertarife

Zum anderen zahlen auch die Top-Verdiener/innen für die ersten 8.004 Euro des zu versteuernden Einkommens keine Steuer und für die nächsten 45.000 Euro den linear-progressiven Tarif. Erst jener Euro, der darüber hinaus verdient wird, unterliegt dem Höchststeuersatz von 42 Prozent und erst jener Euro, der über einem zu versteuernden Einkommen von 250.000 Euro verdient wird, unterliegt der Reichensteuer von 45 Prozent. Die Belastung der Gesamteinkommen liegt also deutlich unter den Höchsttarifen von 42 Prozent bzw. 45 Prozent. Lediglich bei absoluten Topeinkommen nähert sich die steuerliche Gesamtbelastung den gesetzlichen Grenzwerten ohne diese jedoch jemals wirklich zu erreichen.

Nur sehr wenige Menschen sind vom Höchststeuersatz betroffen

Oft wird der Höchststeuersatz ganz bewusst als Steuer dargestellt, die den Mittelstand trifft. So auch im Regierungsprogramm der CDU aus dem Jahr 2009: „Die Höchststeuer betrifft heute nicht mehr nur Spitzenverdiener, sondern bereits viele Facharbeiter, Handwerker und Kleinunternehmer. Diese leistungsfeindliche Wirkung wollen wir ändern.“

Fakt 3

Nur 4,6 Prozent aller Einkommenssteuerpflichten erreichten 2005 ein Einkommen im Umfang des Höchststeuersatzes von 42 Prozent. Von der Reichssteuer sind überhaupt nur 60.000 Menschen oder 0,2 Prozent aller Steuerpflichtigen betroffen

Tatsächlich sind jene Einkommensteuerpflichtigen, die aufgrund eines Jahreseinkommens von rund 65.000 Euro vom Höchststeuersatz betroffen sind, eine relativ kleine Gruppe. Nur 4,6 Prozent aller Einkommenssteuerpflichtigen mussten 2005 für einen Teil ihres Lohneinkommens den Höchststeuersatz von 42 Prozent abführen (BMF, 2011). Von der Reichensteuer sind gemäß einer Schätzung des Statistischen Bundesamtes sogar bloß 60.000 Menschen bzw. 0,2 Prozent aller Steuerpflichtigen betroffen (Spiegel Online, 2005).

 

Die unteren und mittleren Einkommen sind stark belastet

Fakt 4

In Deutschland sind im internationalen Vergleich die unteren und mittleren Einkommen besonders stark mit Steuern und Abgaben belastet, während die Belastung der Arbeitseinkommen ab einem bestimmten Punkt wieder sinkt

In der Realität ist es interessanterweise genau umgekehrt, als es von gewissen Interessensgruppen gerne dargestellt wird. So weist die OECD seit Jahren auf die Tatsache hin, dass es nicht die oberen Einkommen sind, die in Deutschland stark belastet werden, sondern die geringen und mittleren Einkommen. In ihrer Studie Taxing Wages zeigt die OECD im Detail die Schieflage in der Lastenverteilung des deutschen Steuersystems auf: „Deutschland belastet wie kaum ein anderes OECD-Land die Einkommen von Gering- und Durchschnittsverdienern mit Sozialabgaben und Steuern“ (OECD, 2010).
So belief sich im Jahr 2010 laut OECD die Belastung eines alleinstehenden Durchschnittsverdieners mit Steuern und Sozialabgaben (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträge) in Deutschland auf 49 Prozent der Arbeitskosten (Bruttoverdienst plus Sozialbeiträge der Arbeitgeber). Wie aus Abbildung 2 ersichtlich wird, war dies der dritthöchste Wert in der gesamten OECD. Noch schlechter schneidet Deutschland im Hinblick auf die Abgaben von Geringverdienenden mit einem Gehalt von Zweidritteln des Durchschnittsverdienstes ab. Die Belastung lag 2009 bei 47,3 Prozent. Dies ist nach Belgien der zweithöchste Wert in der OECD.



Abbildung 2Belastung des durchschnittlichen Arbeitseinkommens mit Steuern und Sozialversicherung (2010) (Quelle: OECD)
Anmerkung: Alleinstehender ohne Kinder mit 100% des Durchschnittseinkommens.

Die OECD (2009) führt die zuvor beschriebene regressive Wirkung der Sozialversicherungsbeiträge als Ursache für die hohe Belastung unterer und mittlerer Einkommen an: „Anders als die progressive Einkommenssteuer vermuten lässt, sinkt in Deutschland die Belastung der Arbeitseinkommen ab einem bestimmten Punkt wieder.“ Es handle sich hierbei um eine Abnormität der üblichen Steuererhebungspraxis, die man außer in Deutschland sonst nur noch in Spanien und Österreich findet.

Fakt 5

Die Sozialbeiträge wirken wegen der Beitragsbemessungsgrenze regressiv, weshalb die Belastung der Einkommen insgesamt nicht progressiv, sondern nach oben gedeckelt ist

Die OECD rechnet vor, dass 2009 bei einem Single mit einem Jahresgehalt von rund 63.000 Euro die maximale Belastung von 53,7 Prozent erreicht wird (Steuern plus Arbeitnehmerbeiträge plus Arbeitgeberbeiträge). Doch bei 110.000 Euro Jahresgehalt müssen nur noch 50 Prozent der Arbeitskosten abgeführt werden, eine Begünstigung, die selbst in Flat-Tax-Ländern wie der Slowakei nicht möglich ist.
Doch an diesem Punkt sind noch gar nicht alle Vorteile für die Spitzenverdiener vollständig eingerechnet: „Würde man auch die Pendlerpauschale und andere an besondere Voraussetzungen geknüpfte Steuerfreibeträge berücksichtigen, wäre die Entlastung am oberen Ende der Einkommensskala noch deutlicher“, so die OECD.
Gegen einen verbreiteten Glauben sind es also nicht die Spitzenverdiener/innen, die in Deutschland steuerlich besonders hoch belastet sind. Im Gegenteil, hat man eine gewisse Einkommensklasse erreicht, nimmt die Belastung sogar wieder deutlich ab.

Literaturverzeichnis

  • BMF (2011): Datensammlung zur Steuerpolitik 2010.
  • OECD (2009): Steuern- und Sozialabgaben konzentrieren sich in Deutschland bei Gering- und Durchschnittsverdienern.
  • OECD (2010): Taxing Wages 2009.
  • OECD (2011): Taxing Wages 2010.
  • Institut der Deutschen Wirtschaft (2007): Umverteilung: Besserverdienende zahlen die Zeche. Pressemitteilung Nr. 45/2007 des Instituts der Deutschen Wirtschaft Köln.
  • Spiegel Online (2005): Reichensteuer träfe mehr als 50.000 Bürger. Spiegel Online vom 28.06.2005.
  • Truger, Achim und Dieter Teichmann (2011): Zur Reform des Einkommenssteuertarifs. Ein Reader der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion (Hrsg.).

Autor

Dr. Nikolaus Kowall

Dr. Nikolaus Kowall hat mit Unterstützung des IMK an der WU Wien zum Thema Wettbewerbsfähigkeit im Außenhandel promoviert. Seit 2015 leitet er die Geschäftsstelle des FGW in Düsseldorf.