STEUERMYTHEN

Steuermythen

23. Juli 2017

„Steuern, Staat und Bürokratie wuchern auf Kosten der BürgerInnen“   

 

Mythos

Immer wieder heißt es, der staatliche Moloch suche sich immer neue Betätigungsfelder und wuchere immer weiter. Im internationalen Vergleich sei die Bürokratie in Deutschland besonders ausufernd. Das zeige sich auch an der rekordverdächtigen Staatsquote, die nicht mehr weit von der eines sozialistischen Staates entfernt sei. Seine überbordende Bürokratie lasse sich der Staat als Leviathan etwas kosten. Aufkommen müsse dafür jedoch der Bürger, dem wegen der staatlichen Bürokratie-, Steuer- und Abgaben-Exzesse immer weniger zum Leben bleibe.

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„Gefräßiger Staat“
(Wirtschaftswoche, 25.3.2010) 1

„Der gierige Staat nimmt seine Bürger nicht nur ans Gängelband – er lässt sich das auch teuer bezahlen“
(Focus Online, 11.4.2011) 2

„Deutschland auf dem Weg in den Sozialismus“
(Handelsblatt, 11.1.2010) 3

„Deutschland gibt mehr Geld für Bürokratie als für Bildung aus“
(Bild, 10.6.2010) 4

„Fetter Staat. Der Staat wuchert, und das nicht nur in der Verwaltung“
(Focus Online, 14.11.2002) 5

„Der Staat wird zum gefräßigen Monster“
(Handelsblatt, 9.7.2007) 6

 

Die Ausgaben des deutschen Staates gemessen am BIP, also die so genannte Staatsquote, lag 2015 mit 44 Prozent deutlich unter dem EU-27 Schnitt von 47,2 Prozent (Eurostat Database). Von 1996 – als die Staatsquote in Deutschland 48,9 Prozent erreichte – bis zur Finanzkrise 2008/09 gingen in Deutschland die Staatsausgaben in Relation zum BIP stetig zurück und sanken bis 2007 auf 42,8 Prozent. Im Krisenjahr 2009 stieg die Staatsquote aufgrund der schrumpfenden Wirtschaftsleistung dann schlagartig wieder auf 47,6 Prozent an. In den Jahren 2010 und 2011 hat sich die Staatsquote allerdings mit Werten von 47,3 und 44,7 rasch wieder in Richtung ihres Vorkrisenniveaus entwickelt . In Abbildung 1 sind die Staatsquoten in der OECD für das Jahr 2015 abgebildet.

Fakt 1

Bei den Ausgaben des Staates, gemessen am BIP, liegt Deutschland deutlich unter dem Schnitt der EU-27.

Im internationalen Vergleich wird deutlich, dass es in Deutschland keineswegs einen sonderlich „gefräßigen Staat“ gibt, wie es in den Medien gerne dargestellt wird. Ob hohe Staatsquoten gut oder schlecht sind und wie aussagekräftig dieser Indikator überhaupt ist, wird noch zu diskutieren sein. Fakt ist, dass Deutschland über eine geringere Staatsquote verfügt als beispielsweise die Niederlande und mit 44 Prozent am BIP um Ecken näher bei den USA liegt (37,7 Prozent), als beim nördlichen Nachbarn Dänemark (54,8 Prozent).



Abbildung 1 Staatsquoten der OECD-Staaten 2015 (Quelle: OECD Database 2017)

Tatsächlich ist der Informationsgehalt des Indikators „Staatsquote“ relativ gering, weil alle Staatswesen unterschiedlich organisiert sind. Das Leistungsangebot vieler europäischer Staaten ist sehr viel umfassender als beispielsweise jenes der USA, dementsprechend größer ist auch der Anteil der Staatsausgaben am BIP. Die entscheidende Frage ist also nicht, inwiefern der Staat involviert ist, sondern ob die Versorgung mit öffentlichen Leistungen hinsichtlich Qualität, Kosten und Umfang mit jenen der privat organisierten Systeme mithalten kann. Empirisch lässt sich jedenfalls nachweisen, dass öffentliche Sozialversicherungssysteme ihren privaten Pendants punkto Kosten oftmals überlegen sind. Vgl. hierzu Mythos Nr. 2  „Unser Steuergeld versickert in der Sozialbürokratie“

Wofür verwendet der Staat sein Geld?

Um die auf massiven Vorurteilen basierende Diskussion zum Thema „Staatliche Geldverschwendung“ zu versachlichen, ist es hilfreich, einen Blick auf das Gesamtbudget des Staates zu werfen. Wofür gibt der Staat sein Geld überhaupt aus?

Der deutsche Staatshaushalt betrug im Jahr 2011 den Daten des statistischen Bundesamtes zufolge 1.110 Milliarden Euro. In Abbildung 2 sind die verschiedenen Ausgabenposten für 2011 angeführt. Es fällt auf, dass der mit Abstand größte Anteil an den gesamten staatlichen Ausgaben mit 56 Prozent die soziale Sicherung ist. An zweiter Stelle stehen die Bildungsausgaben mit 9 Prozent und öffentliche Sicherheit mit 3 Prozent. Es folgen Ausgaben für Wirtschaftsförderung, Verteidigung und das Verkehrs- und Nachrichtenwesen in der Höhe von insgesamt 10 Prozent des Haushalts. Wohnungswesen, Gesundheit und Umwelt sowie außeruniversitäre Forschung machen nochmal gemeinsam 4 Prozent aus. Zudem gibt es noch zahlreiche kleinere Ausgabenposten.

 



Abbildung 2Bundeshaushalt 2011 nach Aufgabenbereichen (Quelle: Statistisches Bundesamt 2014)

Fakt 2

Die staatlichen Transfers, immerhin 29 Prozent der staatlichen Ausgaben, gehen direkt an die BürgerInnen zurück und erhöhen deren effektives Einkommen.

Rund 29 Prozent der staatlichen Leistungen sind sogenannte Transferleistungen, die auch als Geldleistungen bezeichnet werden. Die staatlichen Geldleistungen wie Elterngeld, Kindergeld, Bafög, Sozialhilfe oder Wohngeld passieren zwar die Konten des Staates, fließen aber 1:1 wieder an die BürgerInnen zurück und erhöhen deren effektives Einkommen. Dies geschieht allerdings oftmals mit einer Verteilungswirkung von Alleinstehenden zu Familien, von BerufseinsteigerInnen zu etablierten Erwerbstätigen innerhalb einer Branche und von Menschen in schlechter bezahlten Berufen zu jenen in besser bezahlten.

Fakt 3

Die Abgaben in Deutschland sind vor allem deshalb höher als anderswo, weil wichtige Versicherungsleistungen (Rente, Gesundheit, Pflege) zu einem beträchtlichen Teil öffentlich organisiert sind.

Darüber hinaus sind fast die Hälfte der staatlichen Leistungen Versicherungsleistungen in Form von Renten-, Kranken- oder Pflegeversicherungszahlungen. Auch diese Leistungen kommen de facto direkt den BürgerInnen zugute. Vor allem diese Versicherungsleistungen sind es, die den Anteil staatlicher Abgaben in Deutschland im internationalen Vergleich erheblich erhöhen. Und trotzdem liegt Deutschland in Westeuropa bei der Abgabenquote nur auf Platz 10 von insgesamt 17 Staaten. (vgl. hierzu Mythos  „Deutschland ist ein Hochsteuerland“).

Anderswo, beispielsweise in den USA, sind die Sozialversicherungssysteme privat organisiert. Die Abgaben an den Staat verringern sich dort spiegelbildlich zu den geringeren, vom Staat angebotenen Leistungen. Es bleibt selbstverständlich jeder Person überlassen, einen Rückzug des Staates und eine entsprechend private Organisation der Versicherungsleistungen zu fordern. Unseriös ist es jedoch, in einer Diskussion nur die staatlichen Belastungen als Gegenargument ins Feld zu führen, die Leistungen, die der Staat für seine Bürger erbringt, gleichzeitig aber unter den Tisch fallen zu lassen.

Fakt 4

In Staaten mit privater Organisation der Daseinsvorsorge, müssen die BürgerInnen diese Leistungen zukaufen. Der Staat kostet dann zwar weniger, aber er bietet im Gegenzug seinen BürgerInnen dann auch deutlich weniger Leistungen an.

Der Staatssektor macht nur ein Fünftel der Volkswirtschaft aus

„Bei einer Staatsquote von 50 Prozent beginnt der Sozialismus“,  so zitiert das Handelsblatt (2010) den ehemaligen Bundeskanzler Helmut Kohl. Die Staatsquote sagt aber in Wirklichkeit nur aus, wie viele Gelder über die Konten des Staates gelaufen sind. Theoretisch könnte die einzige Tätigkeit eines Staates darin bestehen, alle Einkommen mit 100 Prozent zu besteuern und diese dann in exakt gleicher Höhe wieder auszuzahlen, so wie er sie eingenommen hat. Die Abgaben- und die Staatsquote lägen in solch einer fiktiven Volkswirtschaft bei 100 Prozent, die reale staatliche Aktivität läge hingegen bei null Prozent. Ein Staat über dessen Konten hingegen nur 25 Prozent aller Gelder laufen, der diese aber zur Gänze einbehält und damit selbst wirtschaftlich aktiv wird, mischt bei einer Staatsquote von nur 25 Prozent stärker im Wirtschaftsleben mit, als der deutsche Staat mit einer Staatsquote von 43,8 Prozent.



Abbildung 3:Staatseinnahmen relativ zum BIP 2010 und Anstieg der Staatsverschuldung relativ zum BIP in den Jahren 2007-2011 in entwickelten Volkswirtschaften (Quelle: IWF)

Fakt 5

Die Staatsquote ist kein geeigneter Maßstab, um festzustellen, wie stark der Staat wirtschaftlich aktiv wird.

Tatsächlich liegt der Anteil der wirtschaftlichen Aktivi­tät des Staates an der Volkswirtschaft in Deutschland unter 20 Prozent, wie aus Abbildung 3 hervorgeht. Gemessen werden kann dieser Anteil anhand derjenigen Aktivitäten, die im Gegensatz zu Geldleistungen und Versicherungsleistungen nicht direkt bei den Menschen ankommen. Das sind, abgesehen von den Zinszahlungen für die Staatsschuld, die öffentlichen Aufgaben in Bereichen wie Sicherheit, Verkehr, Justiz, Gesundheitsinfrastruktur oder Verteidigung. Dabei handelt es sich Großteils um die traditionellen Kernaufgaben des Staates. In diesen Aufgabenbereichen gehen die Gelder nicht nur über die Konten des Staates, sondern der Staat wird selbst wirtschaftlich aktiv und bietet Güter und Dienstleistungen an.

Fakt 6

Der „reale Staatssektor“, also die vom Staat kontrollierte Produktion von Gütern und Dienstleistungen, macht nur ein Fünftel der gesamten deutschen Wirtschaftsleistung aus.

Für das wahre Ausmaß der staatlichen Aktivitäten sind diese Bereiche staatlicher Produktion bzw. Dienstleistungen wesentlich aussagekräftiger als eine Abgabenquote. Zusammengefasst wird dieser staatliche Personal- und Sachaufwand in der sogenannten „Realausgabenquote“. Sie zeigt, welchen Anteil der Staat an der volkswirtschaftlichen Produktion besitzt. Die Realausgabenquote betrug 2011 in Deutschland knapp 20 Prozent. Das bedeutet, dass der Sektor Staat kein Fünftel der gesamten Wertschöpfung in Deutschland kontrolliert.

Autor

Dr. Nikolaus Kowall

Dr. Nikolaus Kowall hat mit Unterstützung des IMK an der WU Wien zum Thema Wettbewerbsfähigkeit im Außenhandel promoviert. Seit 2015 leitet er die Geschäftsstelle des FGW in Düsseldorf.