STEUERMYTHEN

2. August 2017

„Steuern bremsen das Wachstum und sind Gift für den Wohlstand“   

 

Mythos

Häufig hört man, hohe Steuern seien eine Bremse für das Wirtschaftswachstum und das Wohlstandsniveau einer Gesellschaft. So erklärte Alfred Boss, Ökonom am Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), am 11. Januar 2010 im Handelsblatt: „[…] Studien zeigen: Staaten mit einer geringen Staatsquote haben ein höheres Wirtschaftswachstum.“ Die Anhänger eines „schlanken“ Staates mit niedriger Steuerlast argumentieren: Hohe Ausgaben kann sich die öffentliche Hand nur leisten, wenn sie vorher ihren Bürgern und Unternehmen das Geld über hohe Steuern und Sozialabgaben aus der Tasche zieht. „Das aber bremst den privaten Konsum, Investitionen und Ausgaben für Forschung und Entwicklung“ 1 , so Boss weiter (Handelsblatt, 2010). Der Ökonom Boss steht mit dieser Ansicht nicht alleine da. Es gibt viele, die seine Auffassung teilen:

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„Hohe Steuern bremsen massiv das Wirtschaftswachstum, verringern die Einkommen und damit den Wohlstand der Bevölkerung“ 2
(Taxpayers Association of Europe, 2009)

„Mit massiven Steuererhöhungen steigert die Bundesregierung die Staatsquote, bremst Investitionen und lähmt die Wirtschaft“ 3
(Sinn, Januar 2003)

„Steuererhöhungen bremsen das Wachstum“ 4
(Peffekoven, 28. Mai 2010)

„Zudem bremsen hohe Steuern und Abgaben das Wachstum und gefährden den Wohlstand aller!“ 5
(FDP, 2011)

 

Der Zusammenhang zwischen der Steuerhöhe und dem Wirtschaftswachstum ist keineswegs so eindeutig, wie viele zu wissen meinen. Ob sich hohe Steuern positiv oder negativ auswirken, hängt vor allem von drei Faktoren ab:

  1. Was passiert mit den Einnahmen?
  2. Was bewirken die Steuern konkret?
  3. Wie leicht kann die Steuer umgangen werden?

Steuern und Abgaben verringern einerseits den Anreiz, gewisse wirtschaftliche Aktivitäten durchzuführen (z. B. senken Mineralölsteuern den Anreiz Güter über große Distanzen zu transportieren), andererseits ermöglichen sie die Erfüllung staatlicher Aufgaben, die oftmals die Grundvoraussetzung für ein funktionierendes Wirtschaftssystem sind (Infrastrukturinvestitionen, stabile Nachfrage, Sicherheit, Bildung, soziale Absicherung etc.). Weil der Zusammenhang zwischen Steuerhöhe und Wirtschaftswachstum nicht rein theoretisch entschieden werden kann, ist es sinnvoll, anhand der vorhandenen Daten zu überprüfen, ob eine hohe Steuerbelastung tatsächlich negative Folgen für die Wirtschaftsleistung hat.



Abbildung 1: Zusammenhang zwischen Staatseinnahmen in % des BIP und Wirtschaftswachstum, beides im langjährigen Mittel von 1995 bis 2015 (Quelle: OECD)

Um die Aussage zu prüfen macht es Sinn, die Steuerlast und das Wirtschaftswachstum über einen längeren Zeitraum und verschiedene Länder zu beobachten. Die so genannte Abgabenquote gibt Aufschluss darüber, wie hoch die gesamten Steuern und Abgaben im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind. In Abbildung 1 ist für 17 westeuropäische Staaten die durchschnittliche Abgabenquote zwischen 1995 und 2015 abgetragen. Die Staaten in dieser Abbildung sind gemäß der Höhe der Abgabenquote geordnet: Norwegen weist mit 55 Prozent die höchste Abgabenquote auf, gefolgt von anderen skandinavischen Staaten. Über die niedrigsten Steuern und Abgaben verfügen die Schweiz und Irland.

Auf der rechten Skala ist das durchschnittliche Wachstum der Staaten im Zeitraum 1995 bis 2015 aufgetragen, das im Schnitt aller Staaten ein jährliches Plus von 2,0 Prozent ergibt. Sieht man von den Ausreißern Irland und Griechenland einmal ab, so zeigt sich, dass das Wachstum nun keineswegs mit der Höhe der Steuern und Abgaben korreliert: Unter den Ländern in der Hälfte mit niedrigen Abgabenquoten finden sich Staaten mit überdurchschnittlichen BIP-Wachstum wie Großbritannien (2,1 Prozent)oder Spanien (2,1 Prozent), genauso wie Staaten mit einem unterdurchschnittlichen Wachstum wie die Schweiz (1,9 Prozent) oder Portugal (1,1 Prozent).

Fakt 1

In Europa sind in den letzen 20 Jahren Länder mit Staaten mit hohen Abgabequoten genauso unter den Wachsstumssiegern, wie Länder mit niedrigen Steuern und Abgaben

Unter den Ländern in der Hälfte mit den höheren Einnahmequoten finden sich Staaten mit einem überdurchschnittlichen Wachstum wie Norwegen (2,1 Prozent) oder Schweden (2,5 Prozent), sowie Staaten mit unterdurchschnittlichem Wachstum wie Frankreich (1,6 Prozent) oder Dänemark (1,4 Prozent). Zwar lässt sich der Grafik kein positiver Zusammenhang zwischen der Höhe der Einnahmen und des durchschnittlichen Wachstums entnehmen, aber ein negativer Zusammenhang, d.h. dass Länder mit hohen Abgabenquoten langsamer wachsen, ist aus der Darstellung, ohne die Ausreißer nicht erkennbar.6

Der zweite Teil des Mythos bezieht sich auf die vermeintliche Gefährdung des Wohlstands durch höhere Steuern. Die vorangegangene Diskussion des Zusammenhangs zwischen Wachstum und Abgabenquote macht dabei noch keine Aussage über den Einfluss von Steuersystemen auf das Wohlstandsniveau. Nur weil die Schweiz seit 1995 weniger kräftig gewachsen ist als Spanien, weist sie doch einen deutlich höheren Lebensstandard auf. Abbildung 2 vergleicht das BIP pro Kopf mit der Einnahmenquote im Jahr 2010.

Die Einnahmenquote gibt noch besser als die Abgabenquote Aufschluss darüber, wie hoch die gesamten Staatseinnahmen im Verhältnis zur Wirtschaftsleistung sind, da diese neben Steuern und Abgaben auch gebührenpflichtige staatliche Leistungen, wie Maut u.ä., beinhaltet.



Abbildung 2 Zusammenhang zwischen Staatseinnahmen in % des BIP und Wirtschaftsleistung pro Kopf in USD, 2015 (Quelle: OECD)

Aus Abbildung 2 geht hervor, dass sich empirisch kein klarer Zusammenhang zwischen dem Umfang der Staatseinnahmen und der Höhe des Wohlstandsniveaus feststellen lässt. Die westeuropäischen Staaten in dieser Abbildung sind gemäß der Höhe der Einnahmen des Staates gemessen am BIP (Staatseinnahmequoten) geordnet: Norwegen weist mit 55 Prozent, gefolgt von den anderen skandinavischen Staaten, die höchste Einnahmenquote auf. Über die niedrigsten Staatseinnahmen verfügt Großbritannien, gefolgt von der Schweiz und Irland.

Fakt 2

Das Wohlstandsniveau der Gesellschaften steht in keinem Zusammenhang zur Höhe der Staatseinnahmen. Staaten mit hohen Einnahmen gehören in der OECD zu den wirtschaftlich erfolgreichsten

Es zeigt sich, dass das BIP pro Kopf keineswegs mit der Höhe der Staatseinnahmen korreliert: Unter den Ländern mit den niedrigsten Einnahmequoten finden sich Staaten mit einem hohen BIP pro Kopf wie die Schweiz, genauso wie Staaten mit einem verhältnismäßig geringem BIP pro Kopf wie Spanien. Unter den Ländern mit den höchsten Einnahmequoten finden sich Staaten mit einem hohen BIP pro Kopf wie Norwegen oder Schweden. Allerdings – und das steht im krassen Gegensatz zur Behauptung Steuern seien Gift für den Wohlstand – finden sich keine Staaten mit hohen Einnahmen und einem verhältnismäßig niedrigen BIP. Empirisch ist also kein negativer Zusammenhang zwischen dem Ausmaß der Staatseinnahmen und der Höhe des BIP festzustellen.

Fakt 3

Hochsteuerstaaten kamen deutlich besser durch die Finanzkrise als Niedrigsteuerstaaten, die mit wesentlich höheren Budgetdefiziten zu kämpfen hatten

Wie wichtig Steuern und ein potenter Staat für das Wirtschaftssystem sind, hat sich nicht zuletzt in der Wirtschaftskrise bewiesen. Die Finanzkraft der Staaten war der letzte Rettungsanker vor dem Kollaps des Finanzsystems. Die Intervention der öffentlichen Hand ermöglichte nicht nur Bankenrettungsprogramme, sondern auch Konjunkturpakete zur Stärkung von Wirtschaft und Arbeitsmarkt und stabilisierte die volkswirtschaftlich besonders wichtige private Nachfrage. Zudem hat sich gezeigt, dass Länder mit einer hohen Staatsquote viel eher gegen eine ausufernde Staatsverschuldung gewappnet sind. Ein Budgetdefizit von über zehn Prozent verzeichneten im Jahr 2009 nur Staaten mit niedrigen Einnahmen (USA, GB, Spanien, Irland, …), während Hochsteuerländer (z.B. Österreich, Schweden, Dänemark) überwiegend nicht einmal die Hälfte dieses Wertes erreichten (EU-Kommission, 2010).

Vergleicht man die Einnahmenquote der entwickelten Staaten aus dem Jahr 2010 mit dem Anstieg der Staatsverschuldung zwischen 2007 und 2011, ergibt sich ein interessantes Bild.



Abbildung 3:Staatseinnahmen relativ zum BIP 2010 und Anstieg der Staatsverschuldung relativ zum BIP in den Jahren 2007-2011 in entwickelten Volkswirtschaften (Quelle: IWF)

Wie in Grafik 2 ersichtlich hatten die Staaten mit hohen Einnahmequoten tendenziell mit einem deutlich geringeren Anstieg der Verschuldung während der Krise zu kämpfen, als jene Staaten mit geringen Einnahmequoten. In den Hochsteuerländern Norwegen (minus 4 Prozent) und Schweden (minus 3 Prozent) sank die Verschuldungsquote in den letzten Krisenjahren sogar, während sie in den Niedrigsteuerstaaten USA (plus 41 Prozent) und Japan (plus 37 Prozent) deutlich anstieg. In den Niedrigsteuerländern Neuseeland (plus 18 Prozent) und Australien (plus 15 Prozent) war der Anstieg zwar in absoluten Zahlen mäßig, gemessen am geringen Schuldenstand vor der Krise haben sich die Schulden in beiden Staaten mehr als verdoppelt. Den einzigen Ausreißer aus diesem Muster stellt die Schweiz dar.

Literaturverzeichnis

Autor

Dr. Nikolaus Kowall

Dr. Nikolaus Kowall hat mit Unterstützung des IMK an der WU Wien zum Thema Wettbewerbsfähigkeit im Außenhandel promoviert. Seit 2015 leitet er die Geschäftsstelle des FGW in Düsseldorf.