STEUERMYTHEN

Steuermythen

10. Februar 2015

„Vermögensteuern treffen die breite Masse der Bevölkerung“   

 

Mythos

In Deutschland geht die Angst um, dass Vermögensteuern oder eine einmalige Vermögensabgabe breite Teile der Bevölkerung treffen könnten, da sie sich sonst nicht lohnen würden. Diese Meinung kann man nur vertreten, wenn man keine Vorstellung von der Höhe der Vermögenssubstanz und der Ausprägung der Vermögensverteilung hat oder dies bewusst verschweigt.

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„Eine Vermögenssteuer trifft (…) vor allem den Mittelstand“ 1

„Vermögenssteuer: Reichenabgabe kann Mittelschicht treffen“ 2

„Würde Deutschland die Vermögenssteuer wiederbeleben, wäre (…) finanziell nicht sonderlich lohnenswert“ 3

„Vermögenssteuer wird zur massiven Belastung für den Mittelstand“ 4  

 

Das Netto-Privatvermögen 5 lag in Deutschland laut den Daten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) 2012 bei 6,3 Billionen Euro (Grabka und Westermeier, 2014). Um diesen Betrag einordnen zu können, lohnt sich der Blick auf ein paar weitere Kennzahlen: Dem Statistischen Bundesamt und dem Bundesministerium der Finanzen zufolge lag das Bruttoinlandsprodukt Deutschlands 2012 bei 2,65 Billionen Euro und das Steueraufkommen bei 600 Milliarden Euro.
Folgende Annahme: Würde nun die gesamte Privatvermögenssubstanz pro Jahr pauschal mit einem Prozent besteuert, hätte dies für das Jahr 2012 zusätzliche Einnahmen von 63 Milliarden Euro bzw. 10,5 Prozent des Steuerkommens ergeben.

Dies ist natürlich kein ernst gemeinter Vorschlag für eine Vermögensbesteuerung, die für sich in Anspruch nimmt, gezielt ausgerichtet und deshalb berechtigt zu sein. Anhand dieses Beispiels wird jedoch deutlich, welches beachtliche Steuerpotenzial theoretisch in der Vermögensbesteuerung steckt.

In einem nächsten Schritt muss herausgefunden werden, wie dieses Vermögen verteilt ist, damit klar wird, wie viele Menschen von einer entsprechenden Besteuerung überhaupt betroffen wären.

Wie verteilt sich die Vermögenssubstanz?



Abbildung 1Individuelles Nettovermögen (Personen ab 17 Jahren) nach ausgewählten Perzentilen 6 in Deutschland, 2012 (Quelle: SOEP, 7 Berechnungen des DIW Berlin)
in 1 000 Euro

Für das Privatvermögen wurden vom DIW im Jahr 2012 folgende Schätzungen vorgenommen: Das Nettodurchschnittsvermögen je Erwachsenen (Personen ab 17 Jahren) lag bei etwas mehr als 83 000 Euro. Der Median hingegen lag bei lediglich knapp 17 000 Euro. Der Median ist der Wert, der die reichsten 50 Prozent der Bevölkerung von der ärmeren Hälfte trennt. Das bedeutet also, dass jede zweite erwachsene Person in Deutschland nur über maximal 17.000 Euro Nettovermögen verfügen kann. Die obersten zehn Prozent verfügen über mindestens 217 000 Euro Nettovermögen pro Person und die „Superreichen“, also das reichste Prozent der Bevölkerung, besitzt ein Nettovermögen von mindestens 817 000 Euro (Grabka und Westermeier, 2014), wie auch aus Abbildung 1 zu entnehmen ist. Zu beachten ist an dieser Stelle noch, dass Surveys häufig den oberen Rand der Vermögensverteilung unterschätzen, da Milliardäre oder Multimillionäre nicht oder nur unzureichend in der Stichprobe enthalten sind. Die genannten Zahlen sind daher eher eine konservative Schätzung (Westermeier und Grabka 2015).

Fakt 1

Das Netto-Privatvermögen lag in Deutschland im Jahr 2012 bei 6,3 Billionen Euro und konzentriert sich auf eine kleine Gruppe von Menschen.

Die extrem ungleiche Verteilung der Vermögenssubstanz ergibt sich unter anderem aus der Konzentration von Immobilien- und Betriebsvermögen. Letzteres besitzen überhaupt nur vier Prozent der Bevölkerung, es macht aber knapp zehn Prozent des gesamten Nettovermögens aus. So konstatiert das DIW: „Gut ein Fünftel aller Erwachsener verfügt über kein persönliches Vermögen – bei sieben Prozent waren die Verbindlichkeiten sogar höher als das Bruttovermögen (Grabka und Westermeier 2014, S. 156)“

Das DIW verweist außerdem darauf, dass nur die Hälfte der erwachsenen Deutschen über Geldvermögen 8 verfügt und nur knapp 40 Prozent über selbstgenutztes Immobilienvermögen. Über sonstiges Immobilienvermögen verfügt sogar nur ein Zehntel aller Erwachsenen.

Vermögensbezogene Steuern im internationalen Vergleich

Fakt 2

Vermögende leisten in Deutschland einen deutlich geringeren Beitrag zum Allgemeinwohl als in vielen anderen Ländern, wie z.B. den USA, der Schweiz und Großbritannien.

Der Vergleich der vermögensbezogenen Besteuerung (siehe Abbildung 2) zeigt deutlich, dass Deutschland bei den vermögensbezogenen Steuern am unteren Ende rangiert. Diese Steuerstruktur muss keinesfalls zwangsläufig so aussehen, noch ist sie (ausschließlich) von externen Sachzwängen determiniert. Die Besteuerung von Vermögen ist ebenso politisch gestaltbar wie jede andere Form von Besteuerung auch. In der Schweiz beispielsweise werden Steuern auf das betriebliche und private Nettovermögen auf kantonaler und kommunaler Ebene erhoben. Die Höhe der Steuersätze wird innerhalb eines gewissen Rahmens von den Kantonen und Kommunen selbst festgelegt. So hatte 2011 in der Schweiz die Vermögenssteuer an den Gesamtsteuereinnahmen der Kantone und Gemeinden einen Anteil von 8,3 Prozent bzw. 4,4 Prozent an den Gesamtsteuererträgen der öffentlichen Haushalte (Bund, Kantone und Gemeinden) und belief sich auf 1,2 Prozent des BIP. Die vermögensbezogenen Steuern insgesamt haben in der Schweiz einen Anteil von über 2,0 Prozent des BIP; in Deutschland machen sie weniger als 1 Prozent aus.



Abbildung 2Vermögensbezogene Steuern in OECD-Staaten in Prozent des BIP 2010 (Quelle: OECD)

Aus Abbildung 2 wird ersichtlich, wie klein der Anteil vermögensbezogener Steuern in Deutschland im Vergleich zu anderen Industriestaaten ist.

Wie viel Geld könnten vermögensbezogene Steuern einbringen?

Vermögensbezogene Steuern können einträglich sein wie die Daten aus vielen OECD-Staaten belegen. Die fiskalische Wirkung von vermögensbezogenen Steuern hängt, wie bei jeder Steuerart, von der Wahl der Bemessungsgrundlage und des Steuersatzes ab. Gerade die angelsächsischen Länder mit ihren vergleichsweise hohen Steuererträgen aus Grundsteuern zeigen, dass ein höherer Beitrag vermögensbezogener Steuern am Steueraufkommen auch eine Frage des politischen Willens ist. Wenn also die vermögensbezogenen Steuern in Deutschland wenig einbringen, liegt das daran, dass diese nur in einem geringen Umfang eingezogen werden und wenn sie doch erhoben werden, die Bemessungsgrundlagen für diese Steuern sehr niedrig sind bzw. im Fall der Grundsteuer nicht den Marktpreisen entsprechen.

Fakt 3

Je nach Ausgestaltung könnte bereits eine geringe Vermögenssteuer ein Aufkommen von mehr als 10 Mrd. Euro jährlich (bzw. eine einmalige Vermögensabgabe von 5 Prozent knapp 70 Mrd. Euro) generieren.

Das Aufkommenspotenzial verschiedener Vermögenssteuermodelle für Deutschland wurde bereits mehrmals geschätzt. Nachfolgend wird zum einen auf die „klassische“ Vermögenssteuer (Vorschlag mehrerer rot-grün regierter Bundesländer) und zum anderen auf die Vermögensabgabe (Vorschlag Bündnis 90/Die Grünen) eingegangen (Bach 2015). Letztere wird nur einmalig erhoben, typischerweise mit einem Bewertungsstichtag, der in der (jüngeren) Vergangenheit liegt, um Ausweicheffekte zu vermeiden, d.h. um zu verhindern, dass die Steuerpflichtigen vor Inkrafttreten der Steuer ihr Vermögen ins Ausland verlagern oder künstlich verkleinern können. Die Zahlung der Abgabe kann auch über einen längeren Zeitraum gestreckt werden.

Treffen Vermögenssteuern die breite Masse?

Für eine Vermögensbesteuerung nach dem Vorschlag der rot-grünen Länder soll ein einheitlicher Steuersatz von lediglich einem Prozent erhoben werden. Diesem würden natürliche als auch juristische Personen unterliegen 9. Bei einem persönlichen Freibetrag von 2 Millionen Euro bzw. bei einer Freigrenze für steuerpflichtiges Vermögen bei juristischen Personen bis 200 000 Euro, ergäbe sich ein Steueraufkommen von jährlich 16,5 Milliarden Euro (Bach 2015).
Steuerpflichtig wären lediglich die reichsten 0,2 Prozent der Erwachsenen, 143 000 Personen. Hinzu kämen 164 000 Unternehmen. Unter Berücksichtigung von Schätzungen zu Anpassungs- und Ausweichreaktionen der Steuerpflichtigen ergeben sich jährliche Mehreinnahmen von immer noch 11,6 Milliarden Euro.

Fakt 4

Eine zielgerichtete Besteuerung von Vermögen – mit hohen Freibeträgen im Millionenbereich – würde maximal das reichste ein Prozent der Bevölkerung betreffen.

Die Vermögensabgabe auf Vorschlag der Grünen soll auf das individuelle Nettovermögen der natürlichen Personen erhoben werden. Das Konzept berücksichtigt einen persönlichen Freibetrag von 1 Million Euro pro erwachsene Person. Für jedes Kind gibt es nochmals einen Freibetrag von jeweils 250 000 Euro, für Betriebsvermögen gilt ein Freibetrag von 5 Millionen Euro. 10 Bei einer einmaligen Abgabe von 5 Prozent ergibt sich ein Aufkommen von knapp 70 Milliarden Euro. Steuerpflichtig wären die reichsten 0,6 Prozent der Bevölkerung, das sind in Deutschland also weniger als 500 000 von ca. 80 Millionen Menschen. 11

Es ist also offensichtlich, dass es nicht nur eine beträchtliche Vermögenssubstanz gibt, sondern dass diese zudem auf wenige Reiche konzentriert ist. Ob die Bevölkerungsmehrheit durch Vermögenssteuern belastet wird, hängt folglich in erster Linie davon ab, wie die Politik die Besteuerung von Vermögen gestaltet. Wenn eine Vermögenssteuer auf die reichsten zehn Prozent ausgelegt ist, so besteuert man zwei Drittel des gesamten privaten Nettovermögens (Bach 2015). Die Aussage, Vermögensteuern oder eine einmalige Vermögensabgabe würden breite Teile der Bevölkerung treffen, da sie sich sonst nicht lohnen würde, ist schlicht falsch. Im Gegenteil, es ist genau umgekehrt. Das Privatvermögen in Deutschland ist stark konzentriert. Ein kleiner Teil der Bevölkerung besitzt einen großen Teil des Nettoprivatvermögens. Von Vermögenssteuern, die gezielt erhoben würden, wäre sogar lediglich ein Prozent der Bevölkerung betroffen.

Literaturverzeichnis

  • Institut der Deutschen Wirtschaft (2010): Vermögenssteuer: Ein internationales Auslaufmodell. iwd – Nr. 23 vom 10. Juni 2010.
  • Bach, Stefan (2015) Persönliche Vermögensteuern in Deutschland: Entwicklung und Perspektiven. In: Bofinger, Peter; Horn, Gustav A.; Schmid, Kai D.; Treeck, Till van (Hrsg.): Thomas Piketty und die Verteilungsfrage. Analysen, Bewertungen und wirtschaftspolitische Implikationen für Deutschland, Berlin 2015.
  • Bundesministerium der Finanzen (2014):Steuereinnahmen nach Gebietskörperschaften 2011 – 2013.
  • Deutsche Wirtschafts Nachrichten (Zugriff am 05.02.2015)
  • Grabka, Markus und Christian Westermeier (2014): Anhaltend hohe Vermögensungleichheit in Deutschland. Wochenbericht DIW Berlin Nr. 9/2014.
  • Handelsblatt (2012): Brüderle wirft Gabriel Griff in die Mottenkiste vor. Handelsblatt vom 06.08.2012.
  • Manager Magazin (Zugriff am 05.02.2015)
  • OECD (2012): Revenue Statistics 1965-2011
  • Schweizer Steuerkonferenz (2014): Die Vermögenssteuer natürlicher Personen.
  • Statistisches Bundesamt (2013): Bruttoinlands-Produkt 2012 für Deutschland.
  • Wagner, Gert G., Frick, Joachim R., and Schupp, Jürgen (2007), The German Socio-Economic Panel Study (SOEP) – Scope, Evolution and Enhancements, Schmollers Jahrbuch 127 (1), 139-169.
  • Westermeier, Christian und Markus Grabka (2015): Große statistische Unsicherheit beim Anteil der Top-Vermögenden in Deutschland. Wochenbericht DIW Berlin Nr. 7/2015.

Version 1.2. Dieser Mythos wurde im Februar 2015 überarbeitet.

Autor

Dr. Nikolaus Kowall

Dr. Nikolaus Kowall hat mit Unterstützung des IMK an der WU Wien zum Thema Wettbewerbsfähigkeit im Außenhandel promoviert. Seit 2015 leitet er die Geschäftsstelle des FGW in Düsseldorf.