STEUERMYTHEN
Steuermythen
6. Juni 2019
„Steuertransparenz schadet der heimischen Wirtschaft“
Mythos
Oft ist unklar ob, wo und wie viele Steuern multinationale Unternehmen zahlen. Steuertransparenz verspricht mehr Klarheit und eine faktenbasierte Debatte. KritikerInnen führen hingegen an, dass Transparenz negative Auswirkungen auf die Wirtschaft hätte, Betriebsgeheimnisse gefährde, internationale Verhandlungen torpediere und zu Falschinterpretationen von offen gelegten Informationen führe.
Aus verschiedenen Gründen sind diese Argumente allerdings nicht überzeugend: Erstens fördert mehr Transparenz die Kontrolle durch den Markt und kostet wenig. Zweitens umfassen die Vorschläge für mehr Transparenz wie öffentliche länderspezifische Konzernberichte (public Country-by-Country Reporting) keine sensiblen Unternehmensinformationen und stehen auch nicht im Widerspruch zum Steuergeheimnis. Drittens sind die Auswirkungen auf internationale Verhandlungen – wenn überhaupt – marginal und viertens ist es die Aufgabe von Wissenschaft und Journalismus die Daten korrekt zu interpretieren.
„Sie greifen mit [öffentlichen Berichtspflichten] die Grundsätze des Steuergeheimnisses an, ohne dass das einen praktischen Nutzen hätte“ 1
„Damit geben wir ein wichtiges Pfand ohne Gegenleistung aus der Hand. Gerade die Amerikaner werden sich dann noch weniger genötigt sehen, ihrerseits mit den europäischen Finanzbehörden zusammenzuarbeiten.“ 2
„Die öffentliche Berichterstattung dürfte schützenswerte Interessen der betroffenen Unternehmen verletzen. Im Besonderen ist der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht hinreichend gewährt, da durch die Veröffentlichungen Rückschlüsse auf Unternehmensstrukturen und Margen möglich wären.“ 3
„Neben ungerechtfertigten Reputationsverlusten, einer Einschränkung des Steuergeheimnisses und einem erhöhten Doppelbesteuerungsrisiko sind hier vor allem die drohenden Wettbewerbsverzerrungen […] zu bedenken. Die von der Regelung betroffenen Unternehmen müssen sensible, unternehmensinterne Daten öffentlich berichten. Konkurrenten, die nicht unter die Regelung fallen, können diese Informationen zu ihrem eigenen Vorteil ausnutzen […]“ 4
Gegenwärtig besteht für Außenstehende insbesondere bei multinationalen Unternehmen Unklarheit darüber, in welchen Ländern Unternehmen wie viel Steuern zahlen und in welchem Verhältnis diese zu erwirtschafteten Gewinnen stehen. Die fehlende Transparenz erschwert eine öffentliche Diskussion über eine geeignete, effektive und faire Besteuerung. Auch für die Wissenschaft würde mehr Transparenz bei Unternehmenssteuern hilfreich sein, um die Wirkungen von politischen Entscheidungen und Maßnahmen gründlicher und belastbarer zu erforschen.
GegnerInnen von mehr Steuertransparenz bei Unternehmen führen mehrere Argumente ins Feld, die jedoch bei einer genaueren Betrachtung fragwürdig erscheinen: Erstens, mehr Steuertransparenz hätte negative Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft. Diese Sichtweise ignoriert jedoch, dass Transparenzvorschriften keine Unterschiede zwischen Unternehmen machen und von InvestorInnen geschätzt werden, da sie eine bessere externe Einschätzung der Unternehmen erlauben. Zweitens, Unternehmen wären gezwungen ihre Geschäftsgeheimnisse offenzulegen. Von den vorliegenden Vorschlägen lässt sich diese Behauptung jedoch nicht stützen, da diese weder Geschäftsgeheimnisse betreffen noch das Steuergeheimnis verletzen. Drittens, die Offenlegung von steuerlichen Informationen hätte nachteilige Auswirkungen auf die internationale Steuerkooperation. Hier wird jedoch ignoriert, dass der Effekt – wenn überhaupt – nur marginal und zeitlich begrenzt ist. Viertens wird unterstellt, dass die veröffentlichen Daten falsch interpretiert würden. Doch auch in anderen Bereichen werden schwer interpretierbare Daten veröffentlicht, ohne dass dies ein Problem darstellt.
Im Folgenden werden die einzelnen Argumente im Detail beleuchtet und zuvor kurz erläutert, wieso Steuertransparenz von Unternehmen überhaupt ein Thema ist.
Steuertransparenz bei Unternehmen
Die Forderung nach mehr Transparenz hat ihren Ursprung in der Natur der Unternehmensbesteuerung: Einerseits sind Steuersysteme nahezu ausschließlich national organisiert, während Unternehmen andererseits in vielen Ländern gleichzeitig agieren. Das wirft die Frage auf, in welchem Land ein Unternehmen und insbesondere dessen Gewinn besteuert werden. Im Grundsatz gilt hier, dass die Aktivitäten eines Unternehmens in einem Land abgetrennt von den Aktivitäten in anderen Ländern betrachtet werden („Territorialprinzip“). Vor dem Finanzamt werden im Ausland ansässige Firmensparten wie fremde Unternehmen betrachtet. Fiktiv wird angenommen, dass mit diesem Geschäftsbeziehungen wie mit einem fremden Unternehmen bestehen.
Das Finanzamt schaut dann nur auf die inländischen Aktivitäten und die Gewinne, die darauf anfallen. Im Prinzip werden Aktivitäten eines Unternehmens im Ausland vom Finanzamt nicht weiter beachtet. Hierfür gibt es natürlich Ausnahmen5, aber das grundsätzliche Prinzip gilt hiervon ungeachtet.
Dieses System ist manipulationsanfällig. Unternehmen haben den Anreiz ihre Gewinne in Länder mit niedrigeren Steuersätzen zu verschieben oder – für sie noch besser – zwischen den Grenzen von Staaten verschwinden zu lassen (quasi staatenlose Gewinne). Dafür gibt es verschiedene Methoden: Firmeninterne Preise, Lizenzen, Markenrechte und Darlehen. Diese werden zwischen unterschiedlichen Unternehmensteilen so verwendet, dass Gewinne in einem Land mit hohen Steuern besonders klein sind („Gewinnverkürzung“). Stattdessen fallen die Gewinne bei einer Tochtergesellschaft in einem Land mit sehr geringen oder gar keinen Steuern an („Gewinnverschiebung“).
Um solche Manipulationen seitens der Unternehmen zu begrenzen, gibt es grundsätzlich Vereinbarungen zu konzerninternen Verrechnungspreisen. Als Leitprinzip gilt hierbei der Fremdvergleichsgrundsatz („arm’s length principle“): Eine Transaktion innerhalb einer Firmengruppe muss mit einer Transaktion mit einer fremden Firma vergleichbar sein. Das funktioniert bei traditionellen Wirtschaftsgütern mit einem ausreichend großen Markt, etwa Schrauben, relativ gut. Schwierig wird es aber bei einzigartigen und immateriellen Wirtschaftsgütern. Wie findet man einen angemessenen Preis für Markenrechte, etwa für Coca Cola, oder Patente für spezielle Medikamente? Weil es hier naturgegeben viel Spielraum für Unternehmen gibt, können damit Gewinne besonders leicht von einem Ort zu einem anderen Ort verschoben werden. Da die Rolle von Marken, Patenten und anderen immateriellen Wirtschaftsgütern immer wichtiger wird, fällt es Unternehmen immer leichter Gewinne auf dem Papier zu verschieben. Aktuelle Studien für Unternehmen in den USA – wo deutlich mehr Informationen veröffentlicht werden müssen – zeigen sehr eindrücklich, welches Ausmaß die Verschiebung von Gewinne in Steueroasen mittlerweile angenommen hat (Abb. 1).
Gewinnverschiebung multinationaler US Konzerne
Abbildung 1 Zunehmende Gewinnverschiebung von multinationalen US Konzernen zwischen 1966 und 2016, Studie von Wright und Zucman (2018)
BefürworterInnen von mehr Steuertransparenz für Unternehmen argumentieren, dass mehr Steuertransparenz die Voraussetzung ist, um diesen Trend zu stoppen. Auf Grund fehlender Transparenz sei die Zunahme der Gewinnverschiebung lange unbemerkt geblieben. Außerdem erlaubt mehr Transparenz den Erfolg von politischen Maßnahmen besser beurteilen zu können (Knobel und Cobham, 2016). Hinzu kommt, dass die Regeln für internationale Besteuerung von wenigen Steuerexperten ausgehandelt werden. Diese Expertengremien sind besonders anfällig für Lobbyismus („Regulatory capture“6) und tagen meist hinter verschlossenen Türen.7 Mehr Transparenz würde es erleichtern, diese Debatten öffentlicher zu führen.
Als konkreteste politische Maßnahme werden aktuell öffentliche länderspezifische Berichtspflichten („public country-by-country reporting – pCbCR“) diskutiert. Diese verpflichten Unternehmen bestimmte Informationen aufgegliedert nach den Ländern ihrer Tätigkeit zu veröffentlichen. Welche Kenndaten dies genau sind, ist je nach Vorschlag bzw. Maßnahme etwas unterschiedlich.8 Grundsätzlich handelt es sich jedoch um folgende Informationen:9
- Länder in denen das Unternehmen aktiv ist, sowie alle Tochtergesellschaften und nahestehenden Firmen in diesen Ländern.
- Umsatz, Gewinne und Mitarbeiterzahl der Tochtergesellschaften und nahestehenden Firmen je Land.
- Steuerzahlungen der Tochtergesellschaften und nahestehenden Firmen je Land bzw. je Gesellschaft.
Diese allgemeinen Kennziffern erlauben ein grobes Bild der Aktivitäten eines multinationalen Konzerns.
In bestimmten Branchen sind öffentliche Länderberichte bereits vorgeschrieben. Die umfangreichsten Pflichten gelten seit 2014 im europäischen Bankensektor,10 aber auch im Rohstoffsektor schlüsseln Konzerne ihre Aktivitäten nach Ländern auf.11 Hinzu kommt, dass einige Unternehmen, beispielsweise der Discounter Aldi,12 sich entschieden haben freiwillig ihre länderspezifischen Kennziffern zu veröffentlichen.
Darüber hinaus hat 2018 ein internationaler Informationsaustausch über Länderberichte von multinationalen Unternehmen begonnen, der im Rahmen der OECD vereinbart wurde.13
Fakt 1
Diese sind gegenwärtig die umfangreichsten Berichte. Sie sollen aber nur den nationalen Steuerbehörden zugängig sein. Im Jahr 2016 hat die EU-Kommission eine Veröffentlichungspflicht länderspezifischer Berichte vorgeschlagen.14 Im Moment sind die politischen Verhandlungen im Rat der Mitgliedsstaaten hierzu jedoch festgefahren (Stand Mai 2019). Das Europäische Parlament hat den Kommissionsvorschlag bereits im Sommer 2017 mit Erweiterungen gebilligt. Der EU-Vorschlag würde für alle in Europa tätigen Großkonzerne gelten, umfasst jedoch weniger Kennziffern als die Länderberichte im Rahmen des OECD-Informationsaustausches. Außerdem sollen Kennziffern für Länder außerhalb der EU nur zusammengefasst veröffentlicht werden.15
Mythos Unternehmen müssen ihre Geschäftsgeheimnisse offenlegen
Gegen mehr Steuertransparenz werden verschiedene Argumente ins Feld geführt. Eine beliebte Argumentation ist, dass mehr Transparenz zur Offenlegung von Geschäftsgeheimnissen führe. So argumentierte beispielsweise der CDU-Politiker Mathias Middelberg: „Im Besonderen ist der Schutz von Geschäftsgeheimnissen nicht hinreichend gewährt, da durch die Veröffentlichungen Rückschlüsse auf Unternehmensstrukturen und Margen möglich wären.“16 Der FDP-Abgeordnete Holger Kreste17 oder der CDU-Politiker Philipp Graf Lerchenfeld18 sahen sogar das Steuergeheimnis in Gefahr. Doch sind diese Befürchtungen wirklich begründet?
Fakt 2
Zweitens gibt es bereits Unternehmen die freiwillig die entsprechenden Kennziffern veröffentlichen. Das ist etwa bei Aldi19 der Fall. Würden diese Informationen sensible Betriebsgeheimnisse enthalten, dann würde kein Unternehmen diese Informationen freiwillig veröffentlichen. Drittens kommen auch die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages zu dem Schluss, dass die im Rahmen von Steuertransparenz
Fakt 3
diskutierten Kennziffern nicht unter den verfassungsrechtlichen Schutz von Betriebsgeheimnissen fallen (Wissenschaftlichen Dienste, 2016).
UnternehmensvertreterInnen entgegnen, dass mittelgroße Unternehmen durch die Berichtspflichten faktisch detailliert Profitmargen für einzelne Projekte offenlegen müssen, da sie in einzelnen Ländern nur über sehr begrenzte Aktivitäten verfügen würden. Auch dies kann allerdings kein hinreichender Grund gegen Steuertransparenz sein, da wiederum kleine lokale Unternehmen durch die existierenden nationalen Veröffentlichungspflichten ähnlich transparent sein müssen und zudem in Ausnahmefällen auf Antrag Begrenzungen der Steuertransparenz denkbar wären, wie etwa vom Europäischen Parlament vorgesehen.
Bei der Frage des Steuergeheimnisses steht im Mittelpunkt, wer Informationen veröffentlicht. Das Steuergeheimnis schützt Daten, die Behörden für die Festsetzung von Steuern anvertraut wurden. Diese dürfen nicht zu anderen Zwecken verwendet werden.20 Das Steuergeheimnis schützt hingegen nicht Informationen, die auf Grund eines anderen Gesetzes direkt von den Unternehmen veröffentlicht werden müssen. So veröffentlichen auch jetzt schon Unternehmen, die ausschließlich in Deutschland tätig sind, wie viel Steuern sie hierzulande zahlen. Dementsprechend ist mehr Steuertransparenz möglich ohne das Steuergeheimnis zu verletzen.
Mythos Negativer Effekt für Wettbewerbsfähigkeit heimischer Firmen
Ein weiteres Argument gegen mehr Steuertransparenz sind angeblich negative Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit der eigenen Unternehmen. Dabei lassen sich zwei Argumentationsmuster finden: Erstens, auf Grund höherer Transparenzverpflichtungen seien Investitionen im Vergleich zu Standorten, die weniger Transparenz verlangen, unattraktiver. Zweitens, deutsche bzw. europäische Firmen könnten auf Grund von mehr Steuertransparenz im Ausland mit höheren Steuerforderungen konfrontiert sein.
Beide Argumente sind bei genauerer Betrachtung nicht überzeugend. Höhere Transparenzverpflichtungen binden alle an einem Markt tätigen Unternehmen gleichermaßen und bergen sogar die Möglichkeit, Investitionen zu fördern. Mehr Transparenz alleine führt nicht zu höheren steuerlichen Belastungen im Ausland.
Dass mehr Steuertransparenz einen Standortnachteil mit sich brächte, basiert auf zwei Vermutungen: Erstens, Unternehmen könnten schlechter gestellt sein als ihre im Ausland ansässigen Wettbewerber und zweitens könnte die Veröffentlichung der Informationen erhebliche Kosten für die Unternehmen mit sich bringen.
Fakt 4
Beide Punkte sind nicht überzeugend. Wenn Veröffentlichungen für alle in der EU tätigen Unternehmen verpflichtend sind, dann sind nahezu alle internationalen Konzerne davon betroffen. Schätzungsweise 90% aller multinationalen Konzerne haben eine Niederlassung in der EU (EU Kommission, 2016, S. 28). Kaum ein Unternehmen wird aufgrund von Transparenzvorschriften darauf verzichten, auf dem größten Binnenmarkt der Welt aktiv zu sein. Darüber hinaus gilt auch hier, dass die im Rahmen von Vorschlägen zur Steuertransparenz diskutierten Kennziffern keine sensiblen Unternehmensinformationen umfassen (siehe Absatz Geschäftsgeheimnisse).
Das Kostenargument kann insoweit entkräftet werden, als dass die entsprechenden grundlegenden Kennziffern weitgehend für die Leitung des Unternehmens ohnehin erhoben werden. Außerdem bestehen oft bereits umfangreichere Meldepflichten gegenüber nationalen Behörden (etwa im Rahmen der länderspezifischen Berichte nach OECD-Standard), welche die Verfügbarkeit entsprechender Daten zusätzlich absichern. Einzig die Erläuterung der Daten könnte ein paar zusätzliche Kosten schaffen, die jedoch bei den üblichen Ausgaben für Öffentlichkeitsarbeit von multinationalen Unternehmen marginal sein sollten. Deshalb ist nicht zu befürchten, dass die zusätzliche Veröffentlichung eines Teils dieser Informationen einen erheblichen Kostenaufwand mit sich bringt. Dementsprechend kam auch eine Studie von Transparency International zu öffentlichen Berichten von europäischen Konzernen zu dem Schluss, dass sich keine Wettbewerbsnachteile durch öffentliche Berichtspflichten feststellen lassen (Transparency International, 2016).
Fakt 5
Transparenz die Informationsgrundlage für GeldgeberInnen und erlaubt eine aktive Kontrollfunktion durch die Märkte. Deswegen ist es auch nicht verwunderlich, dass laut einer Umfrage von PwC 59% der ManagerInnen von multinationalen Konzernen öffentliche Länderberichtspflichten unterstützen.21
Das zweite Gegenargument fußt auf der Befürchtung, dass mehr Steuertransparenz höhere Steuerzahlungen im Ausland zur Folge haben kann. Dem liegt zu Grunde, dass mehr Transparenz zu höheren Steuerforderungen im Ausland führe. Doch Staaten können nicht ohne weiteres mehr Geld von Unternehmen fordern. In allen Ländern sind dafür Änderungen im Steuerrecht notwendig. Dabei sind Staaten jedoch nicht vollkommen frei, denn sie haben in über 2500 bilateralen Steuerabkommen die Besteuerungsrechte unter einander geregelt (Rixen, 2008).
Mehr Transparenz wird höchstens zur internationalen Diskussion zu den grundlegenden Prinzipien der Unternehmensbesteuerung und der Verteilung von Besteuerungsrechten beitragen. Diese Debatte ist im Rahmen der OECD ohnehin im Gange. Länder mit großen Verbrauchermärkten und wenigen Konzernsitzen wie Brasilien und Indien fordern hier bereits weitreichende Änderungen, da zurzeit das Prinzip gilt, dass Unternehmensgewinne grundsätzlich eher im Staat des Unternehmenssitzes als im Quellenland (dem Absatzmarkt) besteuert werden. Mehr Transparenz wird diese Debatte nicht grundlegend ändern, aber versachlichen und offener gestalten.
Mythos Partnerländer kooperieren nicht mehr nach Offenlegung
Im Rahmen des automatischen OECD-Informationsaustausches tauschen Steuerbehörden Länderberichte von heimischen multinationalen Konzernen mit anderen Staaten aus. GegnerInnen des pCbCR befürchten, dass Staaten außerhalb der EU keine Berichte ihrer Unternehmen mehr bereitstellen würden, falls ähnliche Berichte ohne Gegenpfand in der EU veröffentlicht werden. Darüber hinaus besteht die Befürchtung, dass internationale VerhandlungspartnerInnen brüskiert sein könnten, wenn die EU von ihren Unternehmen Offenlegung verlangt.
Fakt 6
Steuerbehörden etwaig erhaltene Daten veröffentlichen, sondern die Unternehmen an sich zur Transparenz verpflichtet werden.
Auch die allgemeine internationale Kooperation in Steuersachen scheint durch Transparenzvorschriften nicht gefährdet. Wichtige Fortschritte in der internationalen Zusammenarbeit waren im Gegenteil eine Folge von unilateralen Maßnahmen einzelner Akteure. Wichtigstes Beispiel hierfür ist FATCA. Durch dieses Gesetz wurden alle Finanzinstitute, die in den USA tätig sein wollen, verpflichtet, Informationen zu allen potenziell in den USA Steuerpflichtigen an das US-Finanzministerium zu übermitteln. Erst dieser Schritt hat die internationale Diskussion zum automatischen Informationsaustausch zu Kontoinformationen ins Rollen gebracht (Grinberg, 2012). FATCA war kein Einzelfall. Veränderungen im internationalen Steuersystem wurden oft von einzelnen – wichtigen – Ländern im Alleingang initiiert (Altshuler und Goodspeed, 2015).
Mythos Öffentliche Daten werden falsch interpretiert
Darüber hinaus wird angeführt, dass öffentliche Informationen über Unternehmen falsch interpretiert würden. Auf Grund der Komplexität der Steuerregelungen seien die Zahlen für Außenstehende kaum nachvollziehbar. Weil im Gegensatz zu Steuerbehörden der Öffentlichkeit nur ein kleiner Teil der Information zugängig sei, könne diese keine belastbaren Schlussfolgerungen über die Steuerzahlungen eines Unternehmens ziehen.
Das Argument basiert auf einer falschen Annahme: Steuertransparenz soll nicht zum Ziel haben, dass Außenstehende die Festsetzung einer Steuer 1 zu 1 nachvollziehen können. Die Öffentlichkeit soll nicht die Konformität eines Unternehmens mit dem Steuerrecht überprüfen. Das ist originäre Aufgabe der Steuerbehörden. Stattdessen soll mehr Steuertransparenz eine öffentliche Debatte über die Ergebnisse dieses Systems ermöglichen.
Außerdem kann Dritten nicht pauschal Unkenntnis unterstellt werden. Auch in anderen Themenbereichen wie der Klimapolitik sind die zugrundeliegenden Informationen kompliziert und für Fachfremde kaum verständlich. Doch es gibt JournalistInnen und zivilgesellschaftliche Organisationen, deren Aufgabe die Aufbereitung dieser komplizierten Informationen ist. Sie werden dabei von WissenschaftlerInnen unterstützt, die sich seit Jahren mit dem Thema befassen. Vorbeugend können Unternehmen problemlos bei der ursprünglichen Veröffentlichung die Zahlen mit Erklärungen unterlegen. Und selbst wenn all das immer noch zu einer fehlerhaften Wiedergabe führt, können Unternehmen auf Fehlinterpretationen hinweisen und schwierig nachvollziehbare Tatsachen erläutern.
Fazit
Die Kritik an Transparenzpflichten für große, multinationale Konzerne basiert auf Mythen. Die einzelnen Gegenargumente verfangen wie dargelegt ökonomisch und politisch nicht. Mutmaßlich ist die reale Ablehnung – etwa der EU-Kommissionsvorschläge durch etliche EU-Mitgliedsstaaten – auf drei Gründe zurückzuführen.
Erstens fürchten Staaten wie Luxemburg, die Niederlande, Irland, Zypern und Malta um ihr Geschäftsmodell als Steueroasen, wenn durch öffentliche Berichtspflichten der Druck zur Begrenzung von Gewinnverschiebung von Unternehmen steigt und konkrete Fälle analysierbar werden. Auch wenn in einer Gemeinschaft wie der EU für kleine Staaten ohne große industrielle Basis eine gewisse zusätzliche Unterstützung zur wirtschaftlichen Entfaltung gerechtfertigt ist, schadet die Gewinnverkürzung der Mehrheit. Sie führt überdies zu Wettbewerbsverzerrungen mit national agierenden Unternehmen, welche über weniger Gestaltungsmöglichkeiten verfügen.
Zweitens misstrauen Staaten wie Deutschland einer Verschärfung der Debatte über internationale Besteuerungsrechte, da eine stärkere Gewichtung von Absatzmärkten bei der Verteilung dieser Rechte aufgrund der zurzeit hohen Exportabhängigkeit möglicherweise Steuersubstrat kosten könnte. Auch dies ist für die Allgemeinheit kein hinreichendes Argument, da die Diskussion über Besteuerungsrechte unabhängig von Steuertransparenz ohnehin geführt wird.
Drittens lobbyieren Unternehmen und Verbände gegen Steuertransparenz, um eine Anhebung der effektiven Unternehmensbesteuerung zu verhindern. Denn es gibt erste Zeichen, dass bessere Informationen die Logik des unbegrenzten Steuerwettbewerbs nach unten stoppen können. Der Informationsaustausch über Konten ausländischer Steuerpflichtiger hat beispielsweise dazu geführt, dass in mehreren Ländern der Trend zu immer niedrigeren Kapitaleinkommensteuern durchbrochen wurde (Bothner et al. 2018). Auch die Erfahrungen mit öffentlichen Länderberichtspflichten im Bankensektor zeigen, dass Transparenz zu einer geringeren Nutzung von Steueroasen führen kann (Overesch und Wolff 2019).
Die Höhe und Art von Besteuerung von Unternehmen ist zu Recht politisch umstritten: Grundlegende Transparenz ist aber eine essentielle Voraussetzung, um diese Debatte überhaupt führen zu können. Wer sich ihr verweigert, erleichtert Gewinnverkürzung, begrenzt Wettbewerb und blockiert eine wissenschaftliche fundierte Auseinandersetzung.
Literaturverzeichnis
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Alexander Sacharow