STEUERMYTHEN

Steuermythen

4. Oktober 2016

„Die Finanztransaktionssteuer trifft vor allem Kleinanleger und Riestersparer“   

 

Mythos

In der öffentlichen Debatte um eine Besteuerung der Finanzmärkte wird oft suggeriert, die Finanztransaktionssteuer träfe vor allem Kleinanleger und Riestersparer, während die Finanzindustrie von einer solchen Steuer nicht betroffen wäre.

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„Finanztransaktionssteuer trifft Kleinsparer hart“ 1

„FTT gefährdet die Altersvorsorge.“ 2

„So gefährlich ist die Börsensteuer für Anleger.“ 3

„Steuerpläne machen aus Anlegern Melkkühe“ 4

 

Immer wieder wird das Argument gegen die Finanztransaktionssteuer vorgebracht, dass diese letztlich von den Anlegern zu tragen wäre, da die Steuer die Rendite der Anlagen schmälere. Angeblich belastet die Finanztransaktionssteuer gerade das Riester-Sparen. Eine sachliche Betrachtung der Belastungswirkungen für Sparer und Anleger entlarvt diese Argumentation als falsch.

Fakt 1

Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission nimmt schon heute normale Finanztätigkeiten von Bürgern und Unternehmen von der Steuer aus.

Normale Finanztätigkeiten von Bürgern und Unternehmen sind ausgenommen

Die laufenden Finanztätigkeiten von Bürgern und Unternehmen unterliegen nach dem Richtlinienentwurf der EU-Kommission schon von vornherein nicht der Finanztransaktionssteuer. Dies gilt für den Abschluss von Versicherungsverträgen, Hypothekendarlehen, Verbraucherkredite, Unternehmenskredite, Zahlungsdienste usw., „damit die Kapitalbeschaffung für öffentliche Haushalte und Unternehmen nicht erschwert wird und es keine Auswirkungen auf private Haushalte gibt.“ (Europäische Kommission, 2013).



Abbildung 1Transaktionsvolumina nach Gegenparteien auf OTC-Zinsmärkten und Devisenmärkten (Quelle: Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, 2016; eigene Darstellung)

 

Finanzinstitute tragen das Gros der Steuerlast

Die Adressaten der Finanztransaktionssteuer sind nach dem Richtlinienvorschlag die Finanzinstitute, d. h. Banken, Investmentfonds, Versicherungen usw.
Sie werden auch den Hauptteil der Steuer zahlen müssen: 92 Prozent der Transaktionen, die der Steuer unterliegen, werden nach Angaben der EU-Kommission ausschließlich zwischen Finanzinstituten ohne Kundenanbindung abgewickelt.

Abbildung 1 veranschaulicht die Transaktionsvolumina nach Gegenpartei (Nichtfinanzinstitutionen und Finanzinstitutionen) für zwei Beispielmärkte, den Devisenmarkt und den Over-the-Counter (OTC)-Zinsmarkt.

Zugleich sieht der Richtlinienvorschlag vor, dass ausschließlich Finanzinstitute die Steuer schulden, womit Nicht-Finanzinstitute, wie Haushalte oder in der Realwirtschaft tätige Unternehmen von der Steuerschuld befreit wären.

 

Bankprovisionen und Fondsgebühren belasten Anleger stärker als jede Finanztransaktionssteuer

Fakt 2

92% der besteuerten Handelstransaktionen werden ausschließlich zwischen Finanzinstituten ohne Kundenbindung abgewickelt. Die aus diesen Transaktionen resultierende Steuerlast hat der Finanzsektor zu tragen.

Modellrechnungen, die von Wirtschaftswissenschaftlern und Praktikern vorgenommen wurden, machen deutlich, wie sich die Finanztransaktionssteuer auf Riestersparer und Kleinanleger auswirkt. Bei einer vorgeschlagenen Finanztransaktionssteuer von 0,1 Prozent wird klar, dass die von den Banken und Instituten erhobenen Bankprovisionen und Fondsgebühren die wirkliche Belastung für die Anleger darstellen.

So fallen beim Aktienkauf im Wert von 10.000 Euro, wie in Tabelle 1 dargestellt, Finanztransaktionssteuern in Höhe von 10 Euro an. Die Bankprovision belastet den Anleger dagegen mit etwa 30 bis 60 Euro (Böger, 2011) und liegt damit drei bis sechs Mal höher als die Finanztransaktionssteuer.

Bei einer Investition in einen Investmentfonds fällt die Finanztransaktionssteuer im Vergleich zu den bestehenden Gebühren sogar noch weniger ins Gewicht. Werden 10.000 Euro hier investiert, berechnen die Finanzinstitute, wie Tabelle 2 zeigt, zunächst einmal bis zu zwei Prozent Ausgabeaufschlag, also 200 Euro (Böger, 2011). Das ist 20 Mal so viel wie die Finanztransaktionssteuer, die nur 10 Euro ausmacht.
Tabelle 1Steuerbelastung bei einem Aktienkauf

Fakt 3

Bei Wertpapiertransaktionen, z.B. Aktieneinkäufe oder Fondsinvestments, ist die Steuerbelastung durch eine Finanztransaktionssteuer minimal, die Bankgebühren und Provisionen sind um ein Vielfaches höher
Neben den einmaligen Gebühren und Steuern beim Kauf fallen auch über die Zeit, die die Fondsanteile gehalten werden, Gebühren und Steuern an. Bei einem Aktienfonds liegen die jährlichen Fondsgebühren zwischen 1,8 und 3 Prozent (Otte, 2010). Zugleich werden Fondsanteile durch das Management verkauft und neu hinzugekauft. Die Größe des Anteils, der pro Jahr umgeschlagen wird, variiert über die verschiedenen Fonds je nach Managementstrategie. Auf diesen Handel fällt dann die Finanztransaktionssteuer an.
Im folgenden Beispiel werden, wie in Tabelle 3 dargestellt, 50 Prozent, d. h. die Hälfte des Portfolios, jedes Jahr umgeschichtet. Damit fallen für den Eigentümer von Fondsanteilen eines solchen Fonds im Wert von 10.000 Euro pro Jahr Fondsgebühren in Höhe von 180 bis 300 Euro 5 und Transaktionssteuern in Höhe von 10 Euro 6 an. Die jährlichen Fondsgebühren liegen also zwischen 18 und 30 Mal höher als die Finanztransaktionssteuer.
Tabelle 2Steuerbelastung einer Investition in einen Investmentfonds
Für aktiver gemanagte Fonds – also wenn z. B. jährlich mehrmals das gesamte Fondsvermögen umgeschichtet wird – fällt die Finanztransaktionssteuer deutlicher ins Gewicht. Hierin liegt schließlich die Lenkungswirkung der Steuer. Im Hinblick auf die Verteilung der Lasten der Finanztransaktionssteuer zwischen Finanzbranche und Kleinanlegern, lässt sich aber etwas überspitzt darauf verweisen, dass sich wohl nur sehr wenige Kleinanleger im Bereich des Hochfrequenzhandels bewegen.
Tabelle 3Jährliche Belastung einer Investition in einen Investmentfonds durch Gebühren und Steuern bei einer Umschichtung von 50 Prozent des Portfolios

Wenn schließlich durch Finanzinnovationen aus einem Standardprodukt, z. B. einer Direktanlage in einer Aktie, eine Kaskade weiterer Produkte erzeugt wird, vervielfachen sich Handelsaktivitäten und damit auch die Steuerlast im System. Dies gilt beispielsweise für Investitionen in Hedgefonds, die ihrerseits wieder in viele sogenannte Zielfonds investieren. Während diese Konstruktionen zwar die Risiken breiter streuen, steigern sie auch die Intransparenz im System. Solche oder ähnlich gestaltete Finanzinnovationen werden damit teuer und verlieren an Attraktivität; genau das aber ist auch ein Lenkungsziel der Finanztransaktionssteuer, um Übertreibungen einzudämmen.

Die wirkliche Bedrohung für das Geld der Sparer und Kleinanleger entsteht durch Finanzkrisen selbst: In deren Folge sind in den letzten Jahren die Zinsen und Fondsrenditen deutlich gesunken. Nach einer Studie der Universität Mannheim hat jeder Deutsche durchschnittlich hierdurch 8,5 Prozent seines Vermögens oder etwa 3000 Euro verloren (Börsch-Supan et al., 2009) – ganz zu schweigen von den volkswirtschaftlichen Kosten, für die die Steuerzahler die Zeche zahlen müssen.

Langfristige Investitionen werden belohnt, kurzfristige Spekulationen bestraft

In Bezug auf die eben beschriebenen jährlichen Belastungswirkungen der Finanztransaktionssteuer ist die Umschlaghäufigkeit eines Fonds von entscheidender Bedeutung. Genau hier setzt eine weitere Lenkungswirkung der Finanztransaktionssteuer an, die langfristiger orientierte Fonds gegenüber kurzfristig orientierten Fonds mit häufiger Umschichtung des Portfolios begünstigt. Tabelle 4 zeigt beispielhaft die Belastung zweier Fonds durch Gebühren und die Finanztransaktionssteuer, deren Portfolio unterschiedlich oft umgeschichtet wird.



Tabelle 4Jährliche Steuerbelastung durch die Finanztransaktionssteuer in Abhängigkeit von der Umschlaghäufigkeit
Aus dieser Beispielrechnung wird deutlich, dass sich, je öfter Fonds umgeschichtet wird, die Belastung durch die Finanztransaktionssteuer erhöht (Schäfer und Karl, 2012). Höhere Umschichtungen im Fonds bedeuten aber nicht auch höhere erwirtschaftete Renditen, aber in jedem Fall höhere Gebühren. So attestiert die OECD in einer Studie über Pensionsfonds Managementstrategien mit langfristigerer Orientierung und daher geringerer Umschlaghäufigkeit des Portfolios bessere Ergebnisse (OECD, 2011). Vielfach stellt aktives Fondsmanagement daher vor allem für die Fondsbetreiber und weniger für die Anleger ein gutes Geschäft dar. Zumal dann, wenn sog. „Churning“ betrieben wird, bei dem einige Fondsmanager mithilfe häufiger Umschichtungen zulasten der Anleger die Fondsgebühren hochhalten und Fehler verstecken wollen (Otte, 2010).

Altersvorsorge kaum betroffen

Die Altersvorsorge in Deutschland beruht auf drei Säulen: der gesetzlichen, der betrieblichen und der privaten Altersvorsorge. Heute basiert die Alterssicherung der abhängig Beschäftigten zu 80 Prozent auf Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung. Die gesetzlichen Altersversorgungssysteme sind grundsätzlich von der Finanztransaktionssteuer ausgenommen, da es sich bei den staatlichen Sozialversicherungen nicht um Finanzinstitutionen und damit auch nicht um Steuersubjekte nach der europäischen Richtlinie handelt.

Bei der privaten Altersvorsorge gibt es in Deutschland derzeit ca. 15 Millionen „Riesterverträge“ in ganz unterschiedlicher Ausprägung (BMAS, 2012). Banksparverträge (derzeit in Deutschland ca. 750.000) sowie sog. Wohnriesterverträge (ca. 850.000) werden nach dem Richtlinienvorschlag der EU sowieso nicht von der Steuer betroffen. Auch bei den Versicherungsverträgen (inkl. fondsgebundene Versicherungen), die auf einen Marktanteil von zwei Dritteln kommen (ca. 11 Millionen Verträge), sind die Folgen minimal, da diese eher langfristig investieren und daher kaum von der Steuer auf Finanztransaktionen belastet werden. So bleiben knapp drei Millionen Investmentfondsverträge, die von der Steuer betroffen sein können, wobei wie oben ausgeführt gilt, je geringer der Anteil der jährlichen Umschichtung des Portfolios, desto geringer die Belastung durch die Finanztransaktionssteuer.

Nach dem jüngsten Richtlinienvorschlag der EU-Kommission bleibt mit Direktzusagen und Unterstützungskassen etwa ein Drittel der betrieblichen Altersvorsorge – genau wie die gesetzliche Altersvorsorge – von der Finanztransaktionssteuer unberührt. Jene Konzepte der betrieblichen Altersvorsorge, die von Direktversicherungen, Pensionskassen oder –fonds Gebrauch machen, können durch die Einführung der Finanztransaktionssteuer betroffen werden. Der Umfang der möglichen Belastung dieser Anwartschaften ist vergleichbar mit der privaten Altersvorsorge.

Funktionierender Wettbewerb erschwert die Überwälzung auf Sparer und Anleger

Wie bereits beschrieben, finden 92 Prozent der Finanztransaktionen zwischen Finanzinstitutionen selbst statt. Eine Überwälzung der Steuerlast ist für diese 92 Prozent der Transaktionen auf die Kleinanleger nicht möglich. Die Steuerbelastung der übrigen 8 Prozent der Transaktionen könnte, den Voraussagen einiger Vertreter der Finanzbranche nach, auf die Kunden und damit wiederum zum Teil auf die Kleinanleger und Riestersparer überwälzt werden.

 

Fakt 4

Eine vollständige Überwälzung der Steuer, wie von manchen Lobbyisten angedroht, ist schon wegen des Wettbewerbs um Kunden ausgeschlossen.

Zu welchem Grad eine solche Überwälzung der Steuerlast von den Finanzinstituten auf die Anleger, überhaupt möglich ist, hängt allerdings von verschiedenen Faktoren ab. Je stärker der Wettbewerb auf einem Markt ausgeprägt ist und je transparenter ein Markt ist, desto schwieriger lässt sich eine Produktsteuer auf den Endkunden überwälzen. Angesichts des von der Branche selbst immer wieder betonten Wettbewerbs, wird es außerordentlich schwierig sein, die Steuerlast zu überwälzen. Die Vielzahl von Produkten und Anbietern auf den Finanzmärkten gibt den Anlegern die Möglichkeit, auf andere Produkte – zum Beispiel weniger aktiv gemanagte Fonds oder Riester-Sparpläne an Stelle von Riesterfonds zurückzugreifen. Hierin liegt auch eine Lenkungswirkung der Finanztransaktionssteuer.

 

Finanztransaktionssteuer auf die Großen konzentrieren — Belastung für den Kleinanleger wird vermieden

Obwohl wie oben dargelegt der Richtlinienvorschlag sicherstellt, dass steuerliche Belastung für Realwirtschaft und Kleinsparer gering ist, gibt es gegebenenfalls Instrumente diese Belastung weiter zu reduzieren oder ganz auszuschließen. So gäbe es die Möglichkeit, jene Personen von der Steuer auszunehmen, die nur über ein niedriges Einkommen verfügen oder ihnen eine Steuerrückerstattung zu gewähren.

Fakt 5

Es gibt eine Reihe von schon existierenden steuerlichen Instrumenten, mittels derer die Belastung von Kleinanlegern und Riestersparern durch eine Finanztransaktionssteuer weiter verringert werden kann.

Literaturverzeichnis

  • Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (2016): Triennial Central Bank Survey. Foreign exchange and derivatives market activity in April 2016.
  • Böger, Richard (2011): Stellungnahme zur Finanztransaktionssteuer anlässlich der Öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 30.11.2011.
  • Börsch-Supan, Axel, Martin Gasche und Michael Ziegelmeyer (2009): Auswirkungen der Finanzkrise auf die private Altersvorsorge. Mannheim Research Institute for the Economics of Aging. Nr. 193, 2009.
  • BMAS (2012): Pressemitteilung des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales zur Entwicklung der privaten Altersvorsorge vom 23.05.2012.
  • Europäische Kommission (2013): Vorschlag für eine RICHTLINIE DES RATES über die Umsetzung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Finanztransaktionssteuer. COM(2013) 71 final, S. 18.
  • OECD (2011): Pension fund assets climb back to pre-crisis levels but full recovery still uncertain. Pension Markets in Focus. Nr. 8, Juli 2011.
  • Otte, Max (2010): Stellungnahme zur Finanztransaktionssteuer anlässlich der Öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses des Deutschen Bundestages am 17.05.2010.
  • Schäfer, Dorothea und Marlene Karl (2012): Finanztransaktionssteuer Ökonomische und fiskalische Effekte der Einführung einer Finanztransaktionssteuer für Deutschland.

Autor

Dr. Carsten Sieling

Dr. Carsten Sieling ist Diplom-Ökonom und 1995 in die Bremische Bürgerschaft gewählt worden. Dort war er von 2005 bis zur Bundestagswahl 2009 Vorsitzender der SPD-Fraktion. Von 2009 bis 2015 war er Mitglied des Deutschen Bundestages und dort Mitglied des Finanzausschusses. Dr. Carsten Sieling ist Mitglied im SPD-Parteivorstand und wurde 2014 zum Sprecher der Parlamentarischen Linken in der SPD-Bundestagsfraktion gewählt, bevor er im Juli 2015 zum Bürgermeister und Präsident des Senats der Freien Hansestadt Bremen gewählt wurde.