STEUERMYTHEN

Steuermythen

10. Oktober 2022

„Die Übergewinnsteuer wäre das Ende der sozialen Marktwirtschaft“1

 

 

Mythos

In Deutschland erregt seit Anfang des Jahres 2022 die Forderung nach einer Zusatzsteuer auf Übergewinne die Gemüter. Es geht um die außergewöhnlichen Milliardengewinne, die durch Krisenprofiteure, besonders bei der fossilen Energieversorgung, eingefahren werden. Vorgeschlagen wird, die über die übliche Gewinnentwicklung hinausgehenden Profite mit einer Zusatzsteuer zu belegen. Da die Schuldenbremse im Jahr 2022 noch ausgesetzt ist, braucht es die Einnahmen aus der Übergewinnsteuer rein technisch nicht für weitere Entlastungsmaßnahmen. Es geht hierbei jedoch um ein steuerpolitisches Zeichen von Fairness gegenüber denen, die besonders unter der aktuellen Energie- und Inflationskrise leiden. Im August 2022 sprachen sich 76% der Befragten im ARD-Deutschland für die Einführung einer solchen Steuer aus.2 Friedrich Merz von der CDU hingegen moniert, dass die rechtssichere Abgrenzung, was genau ein Übergewinn ist, kaum möglich ist.3 Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium „rät dringend davon ab, eine Übergewinnsteuer einzuführen.“4 Denn eine Zusatzsteuer auf krisenbedingte Übergewinne demotiviere Unternehmen, in Innovationen zu investieren. Damit könnten dann die aktuellen Knappheiten nicht abgebaut werden.5

Eine theoretische und empirische Analyse der bisherigen historischen und international vergleichenden Erfahrungen mit der unterschiedlich gestalteten Übergewinnbesteuerung zeigt: Entgegen der Kritik und den geschürten Ängsten ist die Extrabesteuerung der aktuellen Übergewinne finanzpolitisch vernünftig und verfassungskonform. Wir werden die am häufigsten genutzten Mythen offenlegen und zeigen, dass die auf Krisengewinne ausgerichtete temporäre Extrabesteuerung von Krisengewinnen ökonomisch zu begründen ist. Dabei werden wir uns insbesondere auf den fossilen Energiebereich konzentrieren.

af60

„Für Zwecke der Besteuerung ist schlicht nicht feststellbar, ob einzelne Unternehmen ‚übergebührlich‘ von einer Krisensituation profitieren“
(Ifo-Präsident Clemens Fuest, 03.05.2022) 6

„Diese Idee widerspricht jeglichen marktwirtschaftlichen Prinzipien“
(FDP-Fraktionsvorsitzender Christian Dürr, 09.06.2022)7

„Wir würden unser Steuersystem der Willkür ausliefern“
(Bundesfinanzminister Christian Lindner, 14.08.2022)8

 

Mythos 1: Gewinn ist gleich Gewinn: Übergewinne, die gibt es nicht.

Ein wesentliches Unternehmensziel in einem funktionierenden marktwirtschaftlichen Wettbewerb ist es, leistungsfundierte Gewinne zu erzielen. Im Idealfall unter Berücksichtigung der optimalen Faktorallokation und sozialer sowie ökologischer Nachhaltigkeit. Aus dem Konkurrenzmechanismus ohne einflussreiche monopolistische Unternehmensmacht resultieren bei stabilen Angebots- und Nachfragebedingungen die Normalgewinne. Werden diese Gewinne auf den Kapitaleinsatz bezogen, dann sind Normal-Renditen das Ergebnis. Diese üblichen Gewinne unterliegen dem leistungsbezogenen Unternehmenssteuerrecht (s. Einkommen- / Körperschaftsteuer). Das gilt auch für die Innovations- bzw. Pioniergewinne, wie sie beispielsweise 2020 und 2021 bei den COVID-19 Impfstoffen angefallen sind. Sie entstehen durch Prozess- und Produktinnovationen im Zuge der „schöpferischen Zerstörung“ (Joseph A. Schumpeter). Soweit der Wettbewerb nicht durch machtvolle Markteintrittsbarrieren behindert wird, bauen sich diese Pioniergewinne im Zuge der Diffusion der Innovation auch wieder ab.

Diese Pioniergewinne haben mit leistungslosen Übergewinnen nichts zu tun und werden deshalb nach der gesetzlich vorgeschriebenen Normalbesteuerung der Unternehmen belastet.

Gegenüber diesen Normalgewinnen sind die Übergewinne zu unterscheiden: Gegenüber der Vorperiode werden in der nachfolgenden Periode Gewinne erzeugt, die nichts mit der laufenden Geschäftstätigkeit zu tun haben. Verursacht werden diese durch außergewöhnliche, nicht durch das jeweilige Unternehmen beeinflussbare Marktbedingungen. Beispielsweise wurden die heute massiven Übergewinne bei vielen Energieunternehmen und den Mineralölkonzernen durch Unsicherheiten, die durch geopolitische Konflikte entstanden, sowie schockartige Verknappung fossiler Energiequellen ausgelöst. Dagegen stehen die von der fossilen Energie abhängige Wirtschaft und die privaten Haushalte als Verlierer*innen dar.

Fakt 1

Pioniergewinne haben mit leistungslosen Übergewinnen nichts zu tun und werden deshalb nach der gesetzlich vorgeschriebenen Normalbesteuerung der Unternehmen belastet.

 

Die Übergewinne sind also nicht das Ergebnis einer besonderen Leistungsanstrengung im Rahmen des normal üblichen und innovationsgetriebenen Geschäftsmodells, sondern sind auf die spezielle Position in der Energiekrise zurückzuführen. Zu Recht ist auch von nicht planbaren „Zufallsgewinnen“ („Windfall-Profits“) die Rede. Der eruptive Angebotsschock auf den Energie- und Kraftstoffmärkten beschert den betroffenen Unternehmen einen überraschenden Vermögenszuwachs. Genau auf diese nicht verdienten Übergewinne im Zentrum einer gesamtwirtschaftlichen Krise konzentriert sich die über die normale Gewinnbesteuerung hinausgehende Zusatzbesteuerung. Die Übergewinne sind Mitnahmeeffekte im Rahmen der Energiekrise, was die Zusatzbesteuerung der Übergewinne gegenüber den Unternehmen mit Normalgewinnen rechtfertigt.

Heute stehen bei der Forderung nach einer Übergewinnsteuer die Profiteure der Krise bei der Versorgung mit fossilen Energien im Zentrum. Das sind die Energiekonzerne zusammen mit den Öl-Multis. Sie profitieren von einer Angebotsverknappung, insbesondere durch die Kriegs- und Embargoauswirkungen sowie geopolitischen Fehler der Vergangenheit, die sich kurzfristig durch Energieeinsparung nicht abbauen lässt. Hieraus begründet sich die Übergewinnbesteuerung: Die ohne einen spezifischen Leistungseinsatz des Unternehmens erzielten Extraprofite („Excess Profits“) werden über die Normalversteuerung der Gewinne hinaus mit einem Extrasteuersatz belegt, der sich nach den international eingeleiteten Maßnahmen zwischen 25% bis 90 % bewegt. Finanzpolitisch richtet sich diese Extrasteuer gegen die privatwirtschaftliche Aneignung der gesamten Summe der Übergewinne.

Ein besonders eklatantes Beispiel für die Aneignung an Übergewinnen in der aktuellen Energiekrise ist die Mineralölbranche. Hier wird deutlich, dass Erzielung von Übergewinnen auch noch durch die Marktmachtstellung der profitierenden Unternehmen begünstigt wird. Insoweit vermischen sich Übergewinne mit Monopolprofiten. Im Mittelpunkt stehen Mineralölkonzerne, die hohe Übergewinne einfahren (Abbildung 1). Die Big Five- Konzerne, die den deutschen Kraftstoffmarkt unter anderem über ihre Tankstellen beherrschen, sind: BP/Aral, ExxonMobil/Esso, ConocoPhilips/Jet, Shell und Total. Nach den Daten der „Markttransparenzstelle für Kraftstoffe des Bundeskartellamtes“ sind zum Sommer 2022 insgesamt 15 442 Straßen- und Autobahntankstellen gemeldet worden. Davon zählen 15 % zu ARAL, 13 % zu Shell, jeweils 7 % zu Esso und Total und 5 % zu Avia. Zusammen verfügen diese Anbieter über 47% der Tankstellen bei denen 65 % des Kraftstoffes getankt werden. 9 Dazu kommen noch 818 Tankstellen von Jet (Tochter von Phillips 66). 10 In der aktuellen Krise mit der dominierenden Sorge von einer Angebotsknappheit ist es den Mineralölkonzernen gelungen, ihre ökonomische Macht bei der Preissetzung zu nutzen. Das Bundeskartellamt geht derzeit dem Verdacht nach, dass die seit Beginn des Ukraine-Kriegs starke Erhöhung der Kraftstoffpreise über die Rohölpreise hinaus durch die allerdings regional beschränkten, marktbeherrschenden Oligopolmärkte für Tankstellen verursacht wird. 11

.

Abbildung 1 Quelle: Eigene Darstellung auf Basis der Quartalsberichte von BP, Shell, Total Energies und ExxonMobil

Die oligopolistische Macht der Mineralölkonzerne wird auch durch den Rückgriff auf eine vertikal integrierte Wertschöpfungskette fundiert. So befinden sich unter dem Dach dieser Konzerne Raffinerien, ein großer Teil der Tankstellen in Deutschland sowie Unternehmensbereiche zur Förderung, Lagerung und Vermarktung von Kraftstoffen. Auf dieser Machtbasis lassen sich Extraprofite durchsetzen. Übergewinne zeigen sich unter anderem an den Margen zwischen dem Rohölpreis und den Benzinpreisen der Raffinerien bzw. der Tankstellen. Auffällig sind die fast gleichläufigen Preisbewegungen an den Tankstellen trotz sehr kurzfristiger Abweichungen. Durch den Einsatz von digitalen Systemen zur Informationsabstimmung (Robo-Tradings) dominiert heute ohne persönliche Kontakte – wie etwa das viel zitierte Frühstückskartell – eine „barometrische Preisführerschaft“. 12 Die Big-Five prägen einen oligopolistischen Markt der darüber hinaus massive Zugangsbarrieren aufweist.

Durch das Zusammenspiel von Marktmacht und allgemeiner Energiekrise konnten hohe Übergewinne realisiert werden. In einer Studie kommen Christoph Trautvetter und David Kern-Fehrenbach vom Netzwerk Steuergerechtigkeit rein rechnerisch auf Übergewinne von 110 Milliarden Euro innerhalb des letzten Jahres im Bereich Öl, Gas und Strom auf Basis der deutschen Verbrauchswerte. Weltweit beziffern sie den Übergewinn allein der sechs größten Erdölkonzerne für das erste Halbjahr 2022 auf 60 Milliarden US-Dollar. 13 Wichtigstes Instrument der Mineralölkonzerne ist die systematische Entkoppelung der Spritpreise gegenüber dem Rohölpreis seit dem Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine. Nach Angaben des Bundeskartellamtes ist der Preisabstand von etwa 40 Cent im letzten Jahr mit dem Angriff auf die Ukraine auf bis zu 50 Cent Ende Mai 2022 gestiegen. Ein erneuter Anstieg auf 60 Cent erfolgte kurz vor dem Start des Tankrabatts am 1. Juni dieses Jahres. 14 Der Tankrabatt hat die Gewinne aller Voraussicht nach eher steigen lassen, auch wenn hier eine abschließende Evaluierung zum jetzigen Zeitpunkt noch aussteht. Zusammenfassend lässt sich jedoch feststellen, dass sich insbesondere bei dem Vergleich von verschiedenen Zeitfenstern vor und nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine klare Übergewinntendenzen ausmachen lassen, die kaum etwas mit Innovationen oder unternehmerischer Leistung zu tun haben.

Mythos 2: Übergewinne sind seriös nicht messbar

Fakt 2

 Es gibt viele aktuelle und historische Beispiele bei denen Übergewinne eindeutig von Normalgewinnen abgegrenzt wurden.
Es gibt viele aktuelle und historische Beispiele bei denen Übergewinne eindeutig von Normalgewinnen abgegrenzt wurden.Übergewinne als Basis der Sondersteuer gegenüber den Normal- und Pioniergewinnen zutreffend abzugrenzen und ihre Höhe zu identifizieren, ist zweifellos eine Herausforderung. Wie historische Beispiele in den USA (etwa die Excess Profit Tax von 1917 und 1942), Großbritannien und Frankreich sowie aktuell beschlossene Maßnahmen zur Besteuerung von Übergewinnen etwa in Italien und Großbritannien belegen, gibt es durchaus Methoden, sich zumindest indirekt der .

angemessenen Zielgröße Übergewinne zu nähern. 15
Ausgangspunkt ist die Wahl der Periode mit Übergewinnen gegenüber der vorangehenden Periode mit Normalgewinnen. Die Wahl des Zeitraums wird durch den Start der schockartigen Eruption der Marktbedingungen zugunsten der profitierenden Unternehmen bestimmt. Bei den heute in vielen Ländern diskutierten Modellen zur Besteuerung der Übergewinne stehen der Angebotsschock bei den fossilen Energieträgern und die nachfolgend rasant steigenden Preise, die die Wirtschaft belasten, im Vordergrund.

Hauptansatzpunkt für die aktuelle Übergewinnphase ist der russische Angriff auf die Ukraine am 24.02.2022. Hinzu kommen sich verstärkende Effekte durch das Wechselspiel zwischen Lieferstopps, gestörten Lieferketten und Embargomaßnahmen. Wie lange diese durch die Energiekrise erzeugte Übergewinnphase für die profitierenden Unternehmen anhält, ist offen. Die heute praktizierten bzw. vorgeschlagenen Modelle für Übergewinnsteuern gehen meist von einer zeitlich begrenzten Energiekrise aus. In Italien wird die Übergewinnsteuer, beziehungsweise Überumsatzsteuer, wie weiter unten ausgeführt wird, zwischen dem 01. Oktober 2021 und 31. März 2022 erhoben. Großbritannien hat eine sogenannte „Sunset-Klausel“ eingebaut, die bewirkt, dass das Gesetz spätestens Ende 2025 außer Kraft tritt. 16 Die EU hat beschlossen für das Jahr 2022 und/oder 2023 eine Solidaritätsabgabe einzuführen, die konzeptuell einer Übergewinnsteuer gleicht. 17 Trotz der Probleme bei der exakten zeitlichen Abgrenzung, lässt sich grundsätzlich mit einer pragmatischen Definition der Phase der Normalgewinne gegenüber der Phase der Übergewinne arbeiten, wie die Bespiele zeigen. Bei der Übergewinnbesteuerung stehen die Unternehmen der Energiewirtschaft (Öl, Gas, Stromerzeugung) im Zentrum der Aufmerksamkeit. Es werden jedoch auch Übergewinntendenzen in weiteren Sektoren wie im Pharma-, Rüstungs- und Digitalwirtschaftsbereich diskutiert. 18

Der historische und internationale Vergleich zeigt: Zur Erfassung dessen, was Übergewinne sind, also der Bemessungsgrundlage der Extrasteuer, lassen sich unterschiedliche Ansätze referieren (Tabelle 1). Einige Beispiele:

Großbritannien entgeht der Definition der Übergewinne dadurch, dass für alle Unternehmen der Erdöl- und Gasförderung nach dem „Energy (Oil and Gas) Profits Levy Bill“ der allgemeine Steuersatz von 40% auf 65% erhöht wird. Unterstellt wird also, dass alle Unternehmen dieser Branche Extraprofite einfahren. Für die Branche gilt (nach der Ring Fence Corporation Tax, RFCT) ein Verbot, die Gewinne aus der Öl- und Gasförderung mit Verlusten aus anderen Aktivitäten des Konzerns zu verrechnen. Übrigens wird mit hohen Freibeträgen bei der Verwendung der Gewinne für Investitionen in die Öl- und Gas-Exploration die Steuerlast deutlich gemindert.

Italien verzichtet auf die direkte Besteuerung der Übergewinne. Ersatzweise wird der indirekte Indikator Umsatz angewendet. Der Saldo zwischen den Eingangs- und Ausgangsumsätzen, der über dem Durchschnitt der vorausgegangenen Periode liegt, wird befristet mit 25% besteuert (Profitti in Excesso).

Generell werden für die Übergewinne zwei Indikatoren eingesetzt. Bei der „Average Earnings Method“ wird das durchschnittliche Nettoeinkommen desselben Unternehmens im fest definierten Zeitraum gegenüber der normalen Vorperiode verglichen. Zum Einsatz kommt auch die „Invested Capital Method“. Als Beispiel wird die Normalrendite (Gewinn bezogen auf das Kapital) – etwa 8 % – mit der Überrendite – etwa 12% – verglichen und daraus der Übergewinn ermittelt. Allerdings werden wegen der unterschiedlichen Definitionen des eingesetzten Kapitals internationale Vergleiche der Überrenditen erschwert. 19 Um der teils problematischen Definition von direkten und indirekten Indikatoren für Übergewinne zu entgehen, gibt es Alternativvorschläge mit dem Ziel, Steuereinnahmen an anderen Stellen der gewinnerzeugenden Preistreiberei der Mineralölwirtschaft zu generieren. Vorgeschlagen wird für Deutschland die Erhebung von Importzöllen auf Mineralölprodukte, wie Stefan Bach erklärt. 20 Ein weiterer Vorschlag zu den Kraftstoffmärkten konzentriert sich auf die Besteuerung der Marge zwischen (höherem) Rohölpreis und dem Großhandelspreis für Mineralöl mit 50%, wie von Marcel Fratzscher bereits im März 2022 vorgeschlagen. 21

Insgesamt zeigt sich, dass eine empirisch valide Annäherung der Bemessungsgrundlage an die Übergewinne gegenüber den Normalgewinnen im Periodenvergleich machbar ist. Der Mythos, dass Übergewinne nicht seriös messbar sind, hält einer Überprüfung nicht stand.

Mythos 3: Eine Übergewinnsteuer zerstört das Vertrauen in ein zuverlässig kalkulierbares, prinzipienfestes Steuersystem

Fakt 3

 Eine Übergewinnsteuer ist sowohl verfassungskonform möglich als auch steuersystematisch begründbar.
Bei diesem Mythos geht es darum, dass durch einen in der aktuellen Krise opportunistisch kreierten neuen Steuertatbestand das Vertrauen in ein kalkulierbares, prinzipienfestes Steuersystem erschüttert, ja, am Ende zerstört wird. Dieser Mythos steht auf dem Sprechzettel des Bundesfinanzministers Christian Lindner. In die gleiche Richtung geht die Bewertung durch den Präsidenten des Ifo-Instituts Clemens Fuest. Er weist in seinen „acht Gründen, warum die Übergewinnsteuer keine gute Idee ist“

darauf hin, „dass die Unsicherheit im Steuerrecht steigt“. 22
Jedoch ist eine „Excess Profit Tax“ steuersystematisch begründbar und sogar durch die Verfassung gedeckt. Bei der steuersystematischen Bewertung sind die folgenden drei Tatbestände zu berücksichtigen, die diese Extrasteuer auf Übergewinne begründen:

  1. Der neue Steuertatbestand krisenbedingter Übergewinne
  2. Die gegenüber der allgemeinen Unternehmenswirtschaft abgegrenzten Energie- und Mineralölkonzerne als die speziellen Gewinner der Krise der Versorgung mit fossilen Energieträgern
  3. Die auf die Dauer der Energiekrise befristete Sonderabgabe

Befristete allgemeine Sonderabgaben kennt das deutsche Steuersystem. Anlass sind gesamtwirtschaftliche Anforderungen und Zusatzausgaben, die mit dem bisherigen Steuersystem nicht bewältigt werden können. Dafür steht der steuerrechtlich mehrfach geänderte Solidaritätszuschlag, der ursprünglich 1991 eingeführt worden ist und mit dem zuletzt prinzipiell 5,5 % auf die Einkommen- und Steuerschuld erhoben worden sind. Teile der Begründung dieser Ergänzungsbesteuerung lassen sich durchaus zur Bewertung der geforderten Übergewinnbesteuerung nutzen. Abgesehen von den Kosten des Golfkonflikts („Bin Laden-Effekt“) wurde dieser Soli zur Finanzierung der Mehrausgaben durch die deutsche Einigung erhoben. Zwar ist dem Verbot, eine Zusatzsteuer zur Finanzierung spezieller Staatsaufgaben zu erheben (Nonaffektationsprinzip) Rechnung getragen worden, jedoch konnte durch den Soli-Zuschlag der allgemeine Finanzierungsspielraum des Staates ausgeweitet werden. Daraus ließen sich die Mehrausgaben durch die deutsche Einigung ohne direkte Zurechnung zur neuen Einnahmequelle finanzieren.

Der Zusammenhang zwischen einer Sonderaufgabe des Staates, die durch die zuvor geltenden Steuerquellen und die öffentliche Schuldenaufnahme nicht finanziert werden konnten bzw. sollten, lassen sich auf die Übergewinnsteuer übertragen. Ausgangspunkt ist heute der exogen erzeugte Angebotsschock vor allem durch den russischen Angriffskrieg und die Lieferbeschränkungen im Bereich der fossilen Energien. Als Folge erzielen die Konzerne der Energie- und Mineralölwirtschaft durch die Krise hohe Übergewinne. Diese ökonomischen Renditen fallen an, ohne dass von den Unternehmen dazu etwas geleistet worden ist. Sie haben mit den Gesetzen eines leistungsfundierten Wettbewerbs nichts zu tun. Damit ist eine zusätzliche Extrabesteuerung dieser Unternehmen steuersystematisch gegeben.

Gewinner dieser Energiekrise sind jedoch nicht alle Unternehmen. Im Gegenteil, gegenüber den massiven Gewinnern gibt es viele Verlierer infolge der verteuerten Energie. Krisengewinner des Angebotseinbruchs bei den fossilen Energiequellen sind logischerweise die Energie- und Mineralölkonzerne. Deshalb konzentriert sich die Extrabesteuerung in erster Linie auf diesen Unternehmensbereich. Dem Staat werden im Ausmaß der steuerlichen Abschöpfung dieser nicht aus dem Markt gewonnen Gewinne Einnahmen zugeführt. Sie fließen ohne Zweckbindung in den öffentlichen Haushalt, schaffen jedoch Spielraum zur Finanzierung der Mehrausgaben infolge der Energiekrise, solange Fiskalregeln wie die Schuldenbremse aktiv sind.

Schlussendlich wird, wie oft behauptet, durch die Befristung im Ausmaß der Dauer der Energiekrise kein dauerhaft neuer Tatbestand der Besteuerung geschaffen. Über die Verwendung dieser spezifischen Steuereinnahmen für die zu finanzierenden Ausgleichsmaßnahmen zugunsten der Verlierer*innen der Energiekrise schließt sich der Kreis einer verfassungsrechtlich zulässigen Besteuerung der Übergewinne. Bei der Übergewinnsteuer geht es am Ende auch um die gesellschaftliche Akzeptanz der unternehmerischen Geschäftsmodelle in Krisenzeiten. Kriegsgewinne als Folge der russischen Invasion in der Ukraine zusammen mit den Lieferengpässen werden gesellschaftlich nicht akzeptiert. Daraus kann eine Vertrauenskrise gegenüber den Unternehmen am Markt entstehen. Insoweit stärkt die Extrabesteuerung von Übergewinnen die Akzeptanz eines gerechten Steuersystems und trägt am Ende zu einer innovationsoffenen Wirtschaftsordnung bei.

Der Mythos von der Demontage eines kalkulierbaren Steuersystems durch die Erfindung eines willkürlichen Steuertatbestandes hält einer ökonomisch-rechtlichen Überprüfung nicht stand. In Bezug auf das italienische Modell kommt der wissenschaftliche Dienst des Bundestages zu einer ähnlichen Einschätzung. Eine Einführung wäre dann verfassungsgemäß, wenn spezifische Herausforderungen, wie die stichfeste Herleitung einer ökonomischen Sondersituation, gegeben sind. 23

Mythos 4: Übergewinnsteuer wird über die Besteuerung am Auslandssitz nicht einnahmenwirksam in Deutschland

Zur Mythenbildung, über die nicht machbare Extrabesteuerung der Übergewinne der internationalen Mineralölkonzerne gehört der Hinweis: Ein erheblicher Teil der Gewinne wird der deutschen Besteuerung durch die Verlagerung ins Ausland und auch durch die Nutzung von Steueroasen entzogen. Um die Gewinne in dem Land, in dem diese gemacht werden, zu versteuern, verlangt es weitere Reformen in der über die OECD abgestimmten Unternehmenssteuerreform. Im aktuellen Fall der Übergewinnbesteuerung fehlt es auch an Daten über die Methoden der Steuerverlagerung.

Diesem Entzug der Krisengewinne der Öl-Multis muss durch eine international gerechte Regelung der Extraprofite begegnet werden. Dazu lassen sich die 2021 verabredeten Reformvorschläge der OECD zur Unternehmensbesteuerung nutzen. Grundsätzlich zielt dort die 1. Säule auf eine Neuverteilung des Besteuerungsrechts der Konzerne. Dazu werden die Normalgewinne als Routinegewinne gegenüber den Residualgewinnen unterschieden. Residualgewinne sind die Konzerngewinne, die über der Umsatzrendite von 10 % liegen. Ein Teil dieser Residualgewinne wird über die Besteuerungsrechte

Fakt 4

Ein erheblicher Teil der Gewinne wird der deutschen Besteuerung durch die Verlagerung ins Ausland und auch durch die Nutzung von Steueroasen entzogen.

zugunsten der Marktstaaten beispielsweise an Deutschland zugeteilt. 24 Leider fallen durch den derzeitigen Ausschluss der Rohstoffindustrie die Energie- und Ölkonzerne nicht unter das Prinzip der Neuverteilung der Besteuerungsrechte nach der Relevanz des Marktlandes. Auch werden grundsätzlich Übergewinne als spezielle Steuereinnahmen nicht abgelehnt. Darüber hinaus wird vorgeschlagen, eine dritte Säule der Reform der Unternehmensbesteuerung weltweit hinzuzufügen: Die Besteuerung der Übergewinne und deren Verteilung nach dem Anteil deren Erzeugung in den Marktländern. 25

Da diese Reform in Richtung eines international zu schaffenden Unternehmenssteuerrechts mit dem Finanzierungsinstrument Übergewinne auf absehbare Zeit nicht zu erwarten ist, müssen auch nach dem internationalen Steuerrecht machbare Alternativen gesucht werden. Hier bietet sich das unkomplizierte italienische Modell an. Es ist mit der derzeitigen EU-Regelung zur Sicherung von Steuern aus der Digitalsteuer auch im Marktland Deutschland vergleichbar. Die internationalen Übergewinne werden durch den approximierenden Indikator Überumsätze („übermäßige Wertschöpfung“) ersetzt. Betroffene Unternehmen sind ca. 11000 Unternehmen der Energiewirtschaft (Herstellung, Weiterverkauf, Handel). Gegenüber der Vorperiode von Oktober 2021 bis April 2022 wird die Differenz zwischen den Eingangs- und Ausgangsumsätzen ab 5 Mio. € und mindestens 10% über der Normalzeit mit 25% einmalig belastet (Profitti in Excesso). Unter den unterschiedlichen alternativen Angeboten ist das italienische Modell für die Annäherung an die in den Marktstaaten durch die Ölkonzerne realisierten Übergewinne derzeit am besten geeignet. Jedoch handelt es sich hierbei bloß um eine Annäherung, die kurzfristig helfen kann, langfristig aber durch eine grundlegende Reform der internationalen Unternehmensbesteuerung ersetzt werden muss.

Mythos 5: Übergewinnsteuer – Wachstumsfeindliche Innovationsbremse

Im Rahmen der Kritik an der Besteuerung der Übergewinne wird behauptet, durch die Belastung der Extragewinne würde der Anreiz zu Innovationen außer Kraft gesetzt. Dafür steht der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesfinanzministerium mit seiner Behauptung: „Würden Gewinne der Innovationssieger ex post ‚wegbesteuert‘, bestünde ex ante kein Anreiz mehr, sich an produktiven Innovationswettläufen zu beteiligen.“  26  Im Klartext heißt das, dass Innovationen nur mit dem Ziel, horrende Gewinne zu erzielen, von den Unternehmen bis in die Gründerszene hinein verfolgt würden.

Dass aus Innovationen vor allem am Anfang gesonderte Pioniergewinne entstehen können, die sich im Zuge der Diffusion der Prozess- und Produktneuerungen wieder abbauen, ist nicht zu bestreiten. Sie sind allerdings bei einem Innovationsprojekt nicht planbar. Wie die Gewinne aus der normal laufenden Geschäftstätigkeit sind Pionier- bzw. Innovationsprofite Ergebnis einer leistungsfundierten marktbezogenen Anstrengung. Mit Übergewinnen, die durch eine exogene eruptive Veränderung der Marktlage bei dem profitierenden Unternehmen entstehen, haben diese nichts zu tun. Pioniergewinne werden steuerrechtlich wie Normalgewinne als Ergebnis der unternehmerischen Tätigkeit behandelt. Somit basiert der Mythos von der die Innovationen bremsenden steuerlichen Belastung der Innovations-/Pioniergewinne schlichtweg auf einer Fehlinformation.

Fakt 5

 Pioniergewinne werden steuerrechtlich wie Normalgewinne als Ergebnis der unternehmerischen Tätigkeit behandelt.

Pioniergewinne werden steuerrechtlich wie Normalgewinne als Ergebnis der unternehmerischen Tätigkeit behandelt.Ein Beispiel für diesen manipulativen Umgang mit Fehlinformationen ist das immer wieder herangezogene Beispiel Biontech-Unternehmen, das zusammen mit dem US-Konzern Pfizer den BioNTech-Impfstoff mit Milliarden an Gewinnen vermarktet hat. Behauptet wird, die durch den massiven Forschungseinsatz erzielten Pioniergewinne sollen auch noch nachträglich durch eine Übergewinnsteuer „bestraft“ werden. Das Ergebnis dieser forschungsgetriebenen Pionierleistung ist kein primäres Ziel der Übergewinnbesteuerung.

Der weit verbreitete Mythos von den durch die Übergewinnsteuer ausgebremsten Anreizen zur Innovation hat nichts zu tun mit der Forderung nach einer Sonderbesteuerung der durch die Unternehmen nicht verdienten Übergewinne. Die hart erarbeiteten Innovationsgewinne werden nicht zusätzlich belastet, sondern unterliegen dem geltenden Recht der normalen Gewinnbesteuerung.

Abschluss

Aktuell werden viele verschiedene Modelle und Konzepte für eine Besteuerung von Übergewinnen diskutiert. Diese beziehen sich in der Regel auf den Energiemarkt. In Europa haben eine Reihe von Ländern bereits auf Eigeninitiative Übergewinnsteuern beschlossen und zum Teil schon eingeführt (siehe Tabelle 1). Am 30. September 2022 hat sich der Rat der Europäischen Union (Ministerrat) auf Notfallmaßnahmen angesichts der hohen Energiepreise geeinigt. 27 Teil davon ist eine Solidaritätsabgabe für Unternehmen im Erdöl, -Erdgas, Kohle und Raffineriesektor. Ziel der Abgabe sind Gewinne über 20% der durchschnittlichen, jährlichen, steuerfälligen Profite seit 2018. 28

Dieser Text beschäftigt sich mit grundlegenden Mythen im Bereich der Übergewinnbesteuerung und kann nicht auf alle aktuellen Entwicklungen eingehen. Der Beschluss des Ministerrats verpflichtet jedoch die Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union zur Abschöpfung krisenbedingter Übergewinne. Der vorliegende Text verdeutlicht, dass die Erhebung einer Sondersteuer auf Übergewinne weder das Ende der sozialen Marktwirtschaft bedeutet noch Unternehmen daran hindern wird in Zukunft innovative Produkte zu entwickeln. Die Besteuerung der Übergewinne von Krisenprofiteuren ist auch ein Zeichen der Fairness gegenüber denjenigen, die besonders unter der Krise leiden.

Tabelle 1

Stand September 2022

Autoren

Prof. Rudolf Hickel
studierte von 1962 bis 1967 Wirtschaftswissenschaft an der Universität Tübingen. Anschließend arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen, danach am Fachbereich der Universität Konstanz. Ab 1972 war er Professor für Politische Ökonomie, später für Finanzwissenschaft an der Universität Bremen. Von 2001 bis 2009 war er Gründungsdirektor des Instituts Arbeit und Wirtschaft. Seit seiner Emeritierung ist er Forschungsleiter am IAW. Er ist seit 1975 Mitglied der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik und gehört darüber hinaus dem wissenschaftlichen Beirat von Attac an.

Henri Schneider
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Projekt Steuermythen sowie Honorarkraft für externe Vernetzung beim Netzwerk Plurale Ökonomik. Zuvor absolvierte er erfolgreich das MSc Economics Programm an der University of Greenwich in London.